Steile Welt (German Edition)
mit diesem unvergleichlichen Grau oder seiner Küchenabdeckung. Aber fast keiner weiss, woher dies stammt. So ist das. Unten im Tal siehst du die grossen Quader liegen. Von dort aus gehen sie weiter, was weiss ich wohin.
Weiter vorne hat es einen Stall, den hast du sicher gesehen. Da waren einmal viele Kühe. Die sind nun alle verkauft worden. Nur das Maultier ist noch da. Dies hat der Senn früher beladen und so all sein Zeug auf die Alp transportiert, bevor man das mit dem Helikopter machte. Er arbeitet jetzt als Schreiner. Es hat nur noch einer Kühe. Die sind zurzeit oben in den Bergen. Weiden die Hänge ab, sind mal hier und mal dort. Vor zwei Jahren war auch ein Stier dabei. Der war aber böse, sodass man ihn töten musste. Das war dann doch zu gefährlich, wie der so frei herumlief.
Ziegen hat es auch nicht mehr viele. Wer eine grosse Alp betrieb, musste investieren können, um den Vorschriften gerecht zu werden. Die Milch durfte nicht mehr der Luft ausgesetzt werden, musste direkt in Tanks fliessen. Das kostet, sich so einzurichten. Darum haben dann die meisten ihre Tiere verkauft. Schade um den guten Käse, der da gemacht wurde. In unserem Dorf hat nur noch ein einziger Ziegen, vielleicht vier Stück. Er macht auch Käse, aber halt nur wenig. Den meisten verschenkt er an jene, die ihm Heu bringen. Die Herde, die manchmal unterwegs ist, sollte eigentlich jetzt auf der Alp sein. Sie gehören einem aus dem nächsten Dorf. Erst ab September dürfen sie im Tal unten grasen. Aber weil es jetzt so kalt ist, kommen sie früher runter. Die halten sich halt nicht an Regelungen. Und da sie nicht mehr gehütet werden und frei herumlaufen, sind sie halt dort, wo sie wollen.
Das Tal entvölkert sich zunehmend. Die Jungen sind längst weggezogen, und die Alten sterben langsam alle. Im Sommer ist am meisten los. Da kommen all die Feriengäste. Hier am Fluss ist es sonst voll mit Badenden. In diesem schlechten Sommer bleiben auch die aus. Wovon soll man also leben hier im Tal?
Dass es hier einmal bessere Zeiten gab, siehst du an den grossen Palazzi in manchen Dörfern. Da floss der Reichtum, der in der Fremde gemacht wurde, in die Heimat zurück. Ja, manche haben das Glück gefunden in der Deutschschweiz oder sonst irgendwo auf der Welt. Aber längst nicht alle. Die meisten sind arm geboren und arm geblieben, ihr Leben lang, und haben dies an die nächste Generation weitergegeben.
Ich komme nicht von da. Bin unten geboren und aufgewachsen. Zur Jagd ist man dann in die Täler hoch gekommen. Zu zweit oder zu dritt auf die Alpe gestiegen, manchmal ein paar Tage hintereinander. Gämsen, Hirsche und Rehe. Es gibt viel Wild hier in den Wäldern. Das Jagen war immer eine schöne und spannende Beschäftigung in der Freizeit. Man war in der Natur, hat sich bewegt und konnte im besten Fall am Schluss eine schöne Trophäe mit nach Hause bringen. Je älter man war, desto vorsichtiger ist man geworden. Am Anfang ist man an die Abgründe vor einer Felswand gestanden und hat hinuntergeschaut, um zu sehen, wo sich das Wild befindet. Nach ein paar Jahren dann auf allen Vieren gekrochen. Ganz am Schluss dann nur noch auf dem Bauch. Der Schwindel zog einen schier in die Tiefe. Auf der Jagd hatte man immer ein Seil dabei. Man wusste nie, ob man sich nicht damit helfen musste. Man konnte sich damit aber auch manchen Weg ersparen. Gab es irgendwo kein Weiterkommen und man hätte einen Umweg gehen müssen, um zum Beispiel auf die andere Seite einer Schlucht zu kommen, hat man das Seil um einen Baum gelegt, Gewehr und Rucksack geschultert, sich an beiden Enden festgehalten und sich hinübergeschwungen. An solchen Geschichten hatte meine Frau dann weniger Freude.
Sie kommt ja von hier. Deshalb haben wir dann dieses Haus von ihren Verwandten erworben und ausgebaut. In jeder freien Minute waren wir an der Arbeit. An den Wochenenden, in den Ferien. Das meiste haben wir selber gemacht. Abgebrochen und neu aufgemauert, verputzt und gestrichen.»
Mit der Motorsäge ist er rasch zur Hand, wenn die Frauenhände an ihre Grenzen stossen. Seine untersetzte Gestalt taucht da auf, wo gearbeitet wird. Mit Ratschlägen wird nicht hinter dem Berg gehalten. Die Hände in den Hosentaschen, mit vorgestrecktem Bauch, kaum verdeckt vom Unterhemd, beobachtet er das Tun derer, die noch am Anfang stehen beim Bezug und der Instandhaltung ihrer Häuser. Bald ernennt man ihn zum ersten Heizer und übergibt ihm vertrauensvoll die Zweitschlüssel. Dass es ausgerechnet
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