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Steilufer

Steilufer

Titel: Steilufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Danz
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jetzt?«
    »Das müssen Sie uns erklären«, meinte Jansen. »Was war das Problem?«
    Er erntete einen erstaunten Blick, doch dann erläuterte Tanguy:
    »Ich kenne Anna seit fast 20 Jahren, wir sind hierhergekommen, wir haben dieses Restaurant gemeinsam eröffnet, wir wollen zusammen alt werden – aber immer stand die Vergangenheit zwischen uns und jetzt, wo sich gerade etwas ändert…«
    »Was ändert sich?«
    Angermüller konnte seinen Blick nicht von dem Bretonen lassen. Der saß auf seinem Stuhl, von Unruhe und Anspannung gekennzeichnet, und versuchte um Verständnis für sein Handeln zu werben. Er trug immer noch seine ausgeblichene Jeans zu dem blau-weiß gestreiften, bretonischen Fischerhemd, seine nackten Füße steckten in Bootsschuhen. Mit seiner tiefen Sonnenbräune unter dem kurzen, dunklen Haar sah er aus wie ein gut erholter Urlauber. Irgendwie passte er überhaupt nicht hierher in diese staubtrockene Umgebung. Als sein Gegenüber auf die Frage nicht einging, fragte Jansen noch einmal:
    »Was ändert sich gerade, Herr Tanguy?«
    »Das ist noch nicht offiziell – aber ich denke, Anna und ich werden heiraten.«
    Tanguy lächelte leise vor sich hin und Angermüller und Jansen warfen sich skeptische Blicke zu.
    »Gut«, Angermüller hüstelte. »Was ist dann passiert? Was haben Sie getan?«
    »Ich wusste, mit diesem Gesicht würde alles wieder von vorne anfangen. Schon Said war nicht gut für sie gewesen.«
    Er hielt kurz inne.
    »Ich bin abgebogen in eine kleine Seitenstraße und von dort in einen Waldweg gefahren. Da habe ich eine Panne vorgetäuscht. Er stieg natürlich mit mir aus und wollte helfen. Ich nahm den Wagenheber ...«
    Tanguy hob seinen Arm und ließ ihn mehrmals nach unten sausen. Wie in Trance sah er die Beamten an.
    »Die Angst war weg.«
    Angermüller konnte kaum glauben, was er hörte. Dieser Mann behauptete, nicht Wut oder Hass wären das Motiv gewesen, diesen jungen Menschen zu töten und sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln – nein, panische Angst hätte ihn dazu getrieben, panische Angst,
    sein Lebensentwurf könnte durch das Gesicht dieses Jungen zunichte gemacht werden. Wahnsinn, das ist wirklich Wahnsinn, schoss es Angermüller durch den Kopf.
    Nach dieser Offenbarung wirkte Tanguy erleichtert. Er sprach weiter und schilderte, was in jener Nacht geschehen war.
    »Und weil überall Blut war, habe ich ihn in die Kunststoffmatte gewickelt, die ich für Lebensmitteltransporte im Auto habe, und auf die Ladefläche gelegt. Ich bin an den kleinen Strand hinter dem Segelverein gefahren. Hab mir aus dem Verein eine Leine und das Schlauchboot besorgt, bin zu dem Strand gerudert und habe ihn verschnürt in das Dinghi geladen. Ich fuhr damit zur Boje raus, an der mein Schiff lag, hab das Dinghi am Heck festgebunden und bin dann mit der ›Ma reine‹ aufs Meer raus.«
    Bis hierhin hatten ihn die Kommissare nicht unterbrochen. Jetzt hakte Jansen ein.
    »Haben Sie sich nicht denken können, dass das Schlauchboot in der relativen Enge der Lübecker Bucht ziemlich schnell an Land treiben wird?«
    »Ich wollte ihn im Meer versenken und das Schlauchboot wieder mit zurücknehmen, doch plötzlich hörte ich einen Schiffsmotor und meinte, das sei die Küstenwache. Da dachte ich, nur schnell weg damit und hab die Leine vom Dinghi einfach gekappt. Das Schiff hat kurz darauf abgedreht, die wollten gar nichts von mir. Aber da war das Schlauchboot schon ziemlich weit abgetrieben.«
    »Und danach?«
    »Ich bin zu meinem Liegeplatz zurückgefahren. An Land musste ich schwimmen, weil ich ja mit dem Schlauchboot an Bord gekommen war. Dann bin ich nach Hause gefahren.«
    »Wie spät war das ungefähr?«
    »Ich glaube, gegen 1 Uhr.«
    »Was haben Sie mit der Tasche des Jungen gemacht?«
    »An der Straße in einen Müllcontainer gesteckt.«
    »Und warum haben Sie seine Papiere aufgehoben?«
    »Je ne sais pas. Ich wollte sie mir noch genauer anschauen, wollte wissen, wer er war. Das glaube ich zumindest, aber es war schon nach Mitternacht. Ich wollte nicht noch später in die Villa zurückkommen. Irgendwann hätte ich sie verbrannt.«
    Eine kurze Pause entstand. Schon die ganze Zeit über hatte Angermüller eine bestimmte Frage stellen wollen:
    »Und das Medaillon, das haben Sie auch bei dem Jungen gefunden?«
    »Ich habe es ihm vom Hals gerissen!«
    »Er trug es um den Hals?« Das fand Angermüller eigenartig.
    »Mais oui! Er war wahnsinnig stolz darauf. Sie hat es ihm geschenkt.«
    »Moment

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