Steilufer
beiden Kommissare hörte, sah Tanguy sich nur einmal kurz um, dann wanderte sein Blick wieder nach draußen.
Angermüller bemerkte, dass Jansen nach der Waffe in seinem Schulterhalfter greifen wollte und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, dass er zurückbleiben sollte. Vorsichtig zog er einen Stuhl heran und setzte sich zu dem Mann an den Tisch, der überhaupt keine Notiz von ihm zu nehmen schien. Der Hauptkommissar räusperte sich.
»Herr Tanguy. Wir müssen mit Ihnen reden.«
Langsam wandte der Angesprochene sich ihm zu und sah ihn mit abwesendem Blick an. Es sah so aus, als ob er Angermüller gar nicht verstanden hatte.
»Herr Tanguy«, setzte der noch einmal an.
»La mort est plus forte que l’amour – der Tod ist stärker als die Liebe. Als meine Liebe jedenfalls. Wussten Sie das?« Ungläubig schüttelte Yann Tanguy seinen Kopf. Er schien keine Antwort zu erwarten.
»Said hat immer noch Macht über sie. Aber Said ist tot! Seit 12 Jahren! Tot!«
»Die Leiche wurde meines Wissens nie gefunden. Woher wissen Sie, dass er tot ist?«
Zum ersten Mal in dieser Unterhaltung kam Yann Tanguy in der Gegenwart an. Er schenkte Angermüller sein gewinnendes Lächeln und zuckte mit den Achseln.
»Warum stellen Sie mir diese Frage, Herr Kommissar? Alle wissen, dass er tot ist. Ich dachte, Sie wüssten Bescheid. Weshalb sind Sie eigentlich hier?«
Angermüller legte das Päckchen vor ihn auf den Tisch, das sie auf der Segeljacht gefunden hatten.
»Wir sind hier, weil wir Sie vorläufig festnehmen müssen, Herr Tanguy. Sie stehen unter dem dringenden Verdacht, Rachid Messaoudi ermordet zu haben.«
Der Kommissar sah ihn ernst an und wartete auf seine Reaktion. Als Tanguy seinen Stuhl weg schob und sich erhob, zückte Jansen im Hintergrund seine Waffe, doch diese Vorsichtsmaßnahme erwies sich als überflüssig.
»Ich bin froh, dass es zu Ende ist. Können wir gehen?«
Völlig selbstverständlich ließ er sich Handschellen anlegen und ging mit Angermüller nach draußen, während Jansen den Kollegen von der Streife Bescheid sagte. Sie standen alle auf dem Hof, als Anna Floric aus der Villa gelaufen kam. Angermüller spürte ein Ziehen im Magen. Er hatte schon darüber nachgedacht, dass man sie natürlich über ihre neuesten Erkenntnisse und die Festnahme ihres Partners würde aufklären müssen. Doch da ihm der Gedanke alles andere als angenehm war, hatte er diese Pflicht bis ganz zum Schluss aufschieben wollen.
»Was ist hier los? Was wollen Sie schon wieder hier?«, wandte sie sich empört an Angermüller. Dann, ehe sie eine Antwort bekam, sah sie das Metall an Yanns Handgelenken. Ihre Empörung schlug in ungläubiges Entsetzen um.
»Yann?! Qu’est-ce qui se passe? Was will die Polizei von dir?«
Er sah zu ihr und ein trauriges Lächeln glitt über sein Gesicht.
»Es war alles umsonst. C’est fini, Anna. Es tut mir leid«, war alles, was er noch zu ihr sagte. Dann wendete er sich ab, bedeutete den Polizisten, dass er einsteigen wollte und verschwand auf der Rückbank des Polizeifahrzeugs. Anna Floric blickte verwirrt von einem zum anderen.
»Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Was soll das alles hier bedeuten?«
»Lassen Sie uns nach drinnen gehen.«
Angermüller ging mit der jungen Frau in die Halle und überlegte krampfhaft, wie er ihr erklären sollte, warum sie ihren Partner wegen Mordverdachts vorläufig festgenommen hatten. Sie setzten sich in zwei Sessel, die an einem Tisch neben der Rezeption standen. Anna Floric ließ die Augen nicht von ihm, ihre Fingerknöchel waren weiß, so krampften sich ihre Hände in die Armlehnen des Sessels.
»Sagen Sie mir endlich, warum Sie Yann mitnehmen!«
Ihre Stimme klang schrill vor mühsam beherrschter Anspannung.
»Es tut mir leid, Ihnen das jetzt nicht ersparen zu können, Frau Floric. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen handelt es sich bei dem Toten vom Steilufer um Rachid Messaoudi.«
»Was? Oh Gott!«
Sie schlug erschrocken beide Hände über dem Mund zusammen. Es dauerte einen Moment, bis sie wieder sprechen konnte.
»Saids kleiner Bruder. Aber was hat Yann damit zu tun?«
Der Kommissar räusperte sich. Es fiel ihm wahrhaft nicht leicht, ihr das zu sagen.
»Es besteht der dringende Verdacht, dass Herr Tanguy ihn getötet hat.«
Auf ihrem Gesicht breitete sich ungläubiges Entsetzen aus.
»Wie kommen Sie darauf, dass Yann etwas damit zu tun haben könnte?«
»Es gibt einiges, was für diese Annahme spricht. Vor allem aber haben wir auf
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