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Steilufer

Steilufer

Titel: Steilufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Danz
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Uhrzeit, die Namen der vernehmenden Beamten, fragte die Personalien des Festgenommenen ab, Name, Geburtstag, Wohnort und so weiter und stellte dann erste Fragen. Tanguys Antworten kamen ohne Zögern. Er wollte reden, er wollte erklären, was passiert war.
    »Vorletzte Woche am Donnerstag hatte ich frei. Es war richtig guter Wind und ich wollte endlich mal wieder mein Schiff bewegen. Also bin ich nachmittags segeln gegangen und bis abends auf dem Wasser geblieben. Es war schon dunkel und fing an zu regnen, als ich wieder im Hafen war. Eigentlich wollte ich gleich heim, aber dann bin ich Monsieur Burmester in die Arme gelaufen. Er hatte mir den Liegeplatz besorgt – nur weil wir uns so gut kennen, wie er sagte – und da musste ich mit ihm natürlich noch ein Bier trinken und mir seine Geschichten anhören. Vous comprenez?«
    Angermüller verstand sehr gut, was Tanguy meinte. Er sah es direkt vor sich, wie der alte Anwalt sein Geflecht an Beziehungen pflegte, hier einen Gefallen tat, dort etwas vermittelte, immer mit dem Hintergedanken, dafür einmal etwas zurückzubekommen. Sei es eine bevorzugte Behandlung in der ›Villa Floric‹, sei es auch nur eine Unterhaltung am Biertisch. Hauptsache, er konnte den großen Kommunikator spielen und manchmal vielleicht auch jemanden für seine abstrusen politischen Ideen gewinnen.
    »Und nach dem Bier?«
    »Es war schon halb 11, wir waren die letzten Gäste und der Wirt wollte das Vereinsrestaurant schließen. Also haben wir uns verabschiedet. Auf dem Heimweg merkte ich, dass der Tank meines Wagens fast leer war und beschloss, noch kurz zur Tankstelle zu fahren. Ich nahm also nicht unsere Abzweigung, sondern fuhr weiter Richtung Travemünde – da habe ich ihn zum ersten Mal gesehen. Es war dunkel, es regnete und er trug eine Kapuze – aber im Scheinwerferlicht habe ich sein Gesicht trotzdem sofort erkannt. C’était comme un cauchemar. Es war wie ein böser Traum! Ich bin erst einmal weiter zur Tankstelle gefahren.«
    »Was haben Sie in dem Augenblick gedacht, als Sie den Mann gesehen haben?«
    »Ich dachte, der sieht aus wie er! C’est impossible! Nach all den Jahren. Und dann dachte ich, was mach ich hier, ich muss hinterher! Vielleicht war es ja nur eine zufällige Ähnlichkeit ...«
    Tanguy stockte und schien ganz der Erinnerung an diesen Tag nachzuhängen.
    »Und dann?«
    Jansens Frage brachte ihn zurück in die Gegenwart.
    »Ich musste einfach wissen, warum er hier war. Ich habe nur für 10 Euro getankt und bin sofort wieder los gefahren. Kurz vor der Kreuzung sah ich ihn wieder. Er trug eine Reisetasche und marschierte immer noch die Straße entlang. Ich habe ihn überholt und dann angehalten und die Beifahrertür geöffnet. Als er herangekommen war, ist er stehen geblieben – er schien überhaupt nicht misstrauisch zu sein – und ich habe ihn auf Deutsch angesprochen. Er verstand mich nicht. Dann versuchte ich es auf Französisch, fragte ihn, ob ich ihm helfen könne. Er war offensichtlich sehr erfreut, jemanden zu finden, dessen Sprache er verstand. Er sah mich an und lächelte, mit diesem unbeschreiblich charmanten Lächeln, das ich nur zu gut kannte.«
    Als ob ihn das noch immer erstaunen würde, schüttelte Yann Tanguy langsam seinen Kopf.
    »Er erzählte mir sofort, er sei gerade erst in Lübeck angekommen und wolle jemanden besuchen. Das sei die Adresse, ob das hier richtig sei. Und er zeigte mir einen kleinen Zettel, darauf stand: ›Villa Floric‹, Steile Höhe, Travemünde, Allemagne.«
    Fassungslos sah Tanguy zu den beiden Polizisten, als ob er auf ihre Zustimmung hoffte, dass dies schlicht ungeheuerlich war.
    »Ist das nicht Wahnsinn?«, setzte er nach, als er keine Antwort bekam, und ließ die beiden Kommisare nicht aus den Augen. Unangenehm berührt wich Angermüller seinem Blick aus und fragte:
    »Wie ging es weiter?«
    »Ich fragte, ob er nicht einsteigen wolle, ich würde die ›Villa Floric‹ kennen und ihn hinbringen. Natürlich freute er sich über das Angebot; er strahlte mich an. Diese Augen und dieses Lächeln kamen mir unheimlich vor. Er setzte sich neben mich und bedankte sich überschwänglich, genau wie…« Er brach ab und hob hilflos die Hände. Nach einer kurzen Pause hatte er sich wieder gefasst und fuhr fort: »Deshalb hat er auch den Hinweis an der Straße zur ›Villa Floric‹ gar nicht mitbekommen. Et moi, j’avais la trouille, ich kriegte eine Scheißangst, ich dachte immerzu nur: Nein, das kann nicht sein. Warum gerade

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