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Steinbrück - Die Biografie

Steinbrück - Die Biografie

Titel: Steinbrück - Die Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Goffart
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Worten beschrieben: Die SPD sei »hinter ihrem Fortschritt zurückgeblieben«, weil unter den Aktiven in der Partei die falschen Leute den Ton angeben würden, so Hombach. Eigentlich müssten die Ortsvereine der SPD voll sein von Menschen wie ihm, wohlhabenden Bürgern, die selbst profitiert haben von der breiten Bildung, die die SPD in den Siebzigerjahren unter das Volk gebracht hat. Stattdessen würden an der Basis heute Nörgler, Alte und Gebeutelte vorherrschen ( Die ZEIT , 36/2010). »Wo sind die Genossen geblieben, die in die Mitte der Gesellschaft geführt wurden und noch weiter hinauf?«, fragt Hombach. Es sei schlimm, dass ausgerechnet diejenige Partei, die wie keine andere für den sozialen Aufstieg gekämpft habe, ihre Aufsteiger verprelle und abstoße. Hombachs Urteil über die SPD fällt deshalb hart aus: »Der Fisch stinkt nicht vom Kopf her, sondern vom Körper.«
    Steinbrück formuliert im Prinzip den gleichen Befund, nur mit gesetzteren Worten und auf die Parteien im Allgemeinen gemünzt: »Solange sich die Parteien nicht um eine Öffnung bemühen, die denen, die mitten im Berufsleben stehen, passende Artikulations- und Partizipationsmöglichkeit bietet, werden die Parteien den sich wandelnden Realitäten weiter hinterherhinken.« Da auch die Bürger selbst diese »Erfahrungsverdünnung« spüren, erklären sie die Parteien nur allzu gerne für realitätsfern, antiquiert und inkompetent.
    Siemens-Chef Peter Löscher hat ähnliche Erfahrungen in seinem Unternehmen gesammelt. Er klagte einmal heftig über das untere und mittlere Management, das ähnlich wie eine »Lehmschicht« den Informationsfluss zwischen dem produzierenden Teil der Firma unten in den Werkshallen und den Entscheidungsträgern oben in den Chefetagen verstopfe und so Innovationen behindere oder sie zerrede.
    In den Parteien bewirken diese »Lehmschichten«, dass beim Erarbeiten neuer Programme und bei der Diskussion wichtiger Reformen der Blick sich viel zu oft rückwärts richtet oder am traditionellen Erfahrungsschatz klebt. Auf diese Art und Weise wird der Fortschritt im Sinne einer ständigen Aktualisierung der Politik entlang der sich wandelnden Realitäten verhindert. Bei der Union gelten vor allem die ländlich und kleinbürgerlich geprägten Kreise als vehemente Gegner jeglicher Modernisierung, insbesondere im gesellschaftlichen Bereich. Nur so konnte es etwa passieren, dass die Union jahrzehntelang die Augen davor verschloss, dass Deutschland keine »Gastarbeiter« mehr beschäftigt, sondern zum Einwanderungsland geworden ist.
    Auch die Akzeptanz von Patchworkfamilien oder das Bedürfnis junger Frauen, Beruf und Familie wie selbstverständlich vereinbaren zu können, wurde von den selbst ernannten »Konservativen« der Union beharrlich bekämpft. Das hat für die Gesellschaft wie für die Partei erhebliche negative Folgen: Bei den jungen Frauen in Großstädten fällt die Zustimmung zur CDU bemerkenswert schwach aus – ein echtes Menetekel für eine Volkspartei und für eine weiblich geführte Regierung überdies. Und die Migranten in Deutschland sind selbst in der dritten und vierten Generation nur schlecht integriert. Nicht wenige von ihnen leben inzwischen vollständig abgeschottet in einer sozial deklassierten Parallelgesellschaft, aus der ihre Kinder wegen mangelhafter Deutschkenntnisse und entsprechend geringer Bildungserfolge kaum ausbrechen können.
    Anders als bei der Union liegt die »Lehmschicht« der SPD weniger im ländlich-provinziellen Bereich, sondern lässt sich ausgehend von bestimmten Berufsgruppen irgendwo zwischen klassischer Industriebeschäftigung und öffentlichem Dienst verorten. Der Typus des durchschnittlichen SPD-Parteitagsdelegierten ist von den Brennpunkten technischer und wirtschaftlicher Veränderung meist weit entfernt und baut deren Dynamik deshalb nur unzureichend in sein politisches Weltbild ein. Nun werden alle gewerkschaftlich engagierten Mitglieder in der SPD einwenden, dass sie als Betriebsräte und Vertrauensleute in den Fabriken und Werkshallen des Landes sehr wohl an der Front der modernen Arbeitswelt stehen und deshalb auch deren Veränderungen spüren. Das bezieht sich aber in aller Regel auf die klassischen Großstrukturen von Industrieunternehmen. Die Mehrzahl der Unternehmen in Deutschland besteht jedoch aus kleinen und mittleren Firmen, in denen es entweder keine gewerkschaftliche Vertretung gibt oder wo die gewählten Betriebsräte nicht unmittelbar den Strukturen der

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