Steinbrück - Die Biografie
aus zwei Gründen der Auffassung, dass die SPD gut beraten wäre, Sie als den Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers zu nominieren. Der eine Grund ist, dass Sie offensichtlich in besonderem Maße die Fähigkeit haben, das Vertrauen und damit die Stimmen von Menschen an sich zu binden, die sich nicht notwendigerweise für sonderlich links halten, die sich wohl aber eigentlich zur Mitte der Gesellschaft zählen. Ihre Reichweite übertrifft die Reichweite der sozialdemokratischen Partei, wie sich in den letzten Wahlen zum Bundestag und zu verschiedenen Landtagen gezeigt hat. Der andere Grund ist, dass Sie bewiesen haben, dass Sie regieren können und dass Sie verwalten können. Das Regierenkönnen hat sich in vielerlei Stationen Ihres Lebens gezeigt, das Verwaltenkönnen desgleichen. Es hat sich insbesondere gezeigt in der souveränen Art, wie Sie als Finanzminister umgegangen sind mit den Konsequenzen der im Jahr 2007 ausgebrochenen, dann sich über die ganze Welt verbreitenden Finanzkrise. Deutschland ist da relativ gut durchgekommen, besser als mancher andere, und das ist zu einem großen Teil – und das weiß auch das Publikum – Ihr Verdienst. Deswegen steht meine Meinung heute schon fest, auch wenn die Führungsgremien der Sozialdemokratischen Partei noch ein weiteres Jahr Zeit brauchen.«
Das saß. Steinbrück dankte für das ehrenvolle Urteil, und Deutschland hatte ein neues Aufregerthema. In einem Spiegel- Interview, das am 24. Oktober 2011 erschien, brachte Schmidt seine Empfehlung auf die schlagzeilenfähige Kurzform »Er kann es«, womit dann auch der Titel für diese Ausgabe klar war. Das Handelsblatt widmete seine Aufmachung am gleichen Montag ebenfalls der vorgezogenen Krönung des Kandidaten durch den dampfenden Weltweisen Schmidt, und die ZEIT erschien am Donnerstag mit einem ganzen Dossier über das Buch und »Schmidts Erben«, wie die Titelzeile lautete.
Noch während die Zeitungen gedruckt wurden, saßen Schmidt und Steinbrück bei Günter Jauchs Sonntagabendtalkshow, wo sie im Prinzip das Spiegel -Interview und einige Passagen aus ihrem Gesprächsband für ein Millionenpublikum wiederholten. Moderator Jauch ließ die beiden gewieften Herren im dichten Qualm von Schmidts Mentholzigaretten beim Staatsmännerschauspiel gewähren und schaffte es mit einer Mischung aus demonstrativem Respekt und charmanter Schlitzohrigkeit, dass der etwas ungnädig gestimmte Altkanzler seine Empfehlung für den Kanzlerkandidaten Steinbrück vor laufenden Kameras noch einmal wiederholte. Den Einwand, dass Steinbrück bislang nur Wahlen verloren, aber noch nie eine gewonnen habe, konterte Schmidt mit dem Hinweis: »Ich hatte auch keine Wahl gewonnen, als ich 1974 das Amt des Bundeskanzlers von Willy Brandt übernahm.«
Die Zuschauerquote für das sonntägliche Schmidt-Steinbrück-Festspiel war überdurchschnittlich hoch. Als Kanzlerin Angela Merkel vier Wochen vorher bei Günter Jauch über die Eurokrise sprach, hatten 4,29 Millionen Zuschauer eingeschaltet. Bei Schmidt und Steinbrück blieben 5,61 Millionen Menschen am Fernsehschirm. Die Abstimmung mit der Fernbedienung haben der Kandidat und sein Mentor jedenfalls schon einmal gewonnen.
Das Echo auf den »Ritterschlag« fiel hingegen zwiespältig aus. Die beiden »Mitkandidaten«, Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier, zeigten demonstrative Gelassenheit. Zum einen waren sie von Steinbrück vorab informiert worden. Zum anderen wussten sie als Profis die Vorteile der gewaltigen Medienresonanz durchaus zu schätzen. Die beiden Sozialdemokraten Schmidt und Steinbrück hätten der Partei doch ziemlich viele Schlagzeilen verschafft – und nicht die schlechtesten, freute sich Gabriel. »Diese Debatte ist äußerst schmeichelhaft für die SPD.« Selbst mit weniger Überschwang ließ sich nicht mehr bestreiten, dass die Genossen nach ihrem Totalabsturz bei der Wahl 2009 zurück im Gespräch waren. Sie gewannen wieder Landtagswahlen und präsentierten sehr selbstbewusst gleich drei respektable Kandidaten auf Augenhöhe mit der Kanzlerin. Seitdem hält die K-Frage die SPD im Gespräch – und zwar immer mit der impliziten Aussage, man fühle sich stark genug für die Herausforderung im Kampf um das Kanzleramt.
Der linke Flügel als treuer Steinbrück-Gegner reagierte erwartungsgemäß verschnupft auf die Bewerbungsoffensive aus Hamburg. »Ich verstehe nicht, was dieser Egotrip zu diesem Zeitpunkt soll«, schäumte der Juso-Vorsitzende Sascha Vogt.
Weitere Kostenlose Bücher