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Steinbrück - Die Biografie

Steinbrück - Die Biografie

Titel: Steinbrück - Die Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Goffart
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hätte.
    Als 1939 der Krieg ausbrach, ging für Ilse allerdings das freie Leben im selbst gewählten skandinavischen Exil zu Ende. Um keine Risiken einzugehen, kehrte sie heim zu ihren Eltern nach Hamburg. Dort erlebte sie einen kulturellen Schock, hatte sie doch die Gleichschaltung des politischen und gesellschaftlichen Lebens in Deutschland nicht miterlebt und war im freien Ausland mit einem ganz anderen Lebensgefühl und ganz anderen Einstellungen herangewachsen. Peer Steinbrück hat das später in einem einzigen Satz zusammengefasst, der viel über seine Mutter und deren Entwicklung in der damaligen Zeit aussagt: »Als sie 1939 zurückkam und diese verbrecherische, dumpfbackige Nazizeit und deren Variante des ›deutschen Humors‹ erlebte, hat sie versucht, diesen Wahnsinn mit Ironie zu ertragen.«
    Unverkennbar hat Ilse Steinbrück ebenso ihr Misstrauen gegen Ideologien auf die beiden Söhne übertragen wie ihre grundsätzliche Haltung, Dinge nicht einfach als gegeben hinzunehmen, sondern sie kritisch zu hinterfragen. Es gibt ein Bild, das Peer und Birger im Erwachsenenalter auf einer Familienfeier im Schulauer Fährhaus mit ihrer schon recht betagten Mutter zeigt. Zu sehen ist Ilse Steinbrück auf diesem Foto als eine freundlich lächelnde, gut gekleidete und selbstbewusste alte Dame mit blonden, sorgfältig frisierten Haaren und einem offen, freien Blick. Sie erreichte das biblische Alter von 92 Jahren und verstarb friedlich im Herbst 2011 in Hamburg.
    Zu gerne hätte die seit jeher fortschrittlich denkende Frau wohl einen Beruf ausgeübt. Doch da kamen ihr nicht nur der lange Aufenthalt im Ausland und später der Krieg in die Quere. Wie zu der damaligen Zeit üblich wurde früh und ohne allzu lange Probezeit geheiratet, sodass Ilse fast übergangslos von der Rolle der Tochter in die der Hausfrau und Mutter hineinrutschte – von einer kurzen Zeit abgesehen, in der sie nebenbei als Schneiderin arbeitete. Für Mode hatte sie sich immer schon begeistert, und ihr großer Traum als Mädchen und junge Frau war es gewesen, Hutmacherin zu lernen und ihrer Kreativität freien Lauf lassen zu dürfen. Hüte galten damals für Damen als Inbegriff von Exklusivität und individuellem Ausdruck. Sie zeugten von Geschmack und Zugehörigkeit zur besseren Gesellschaft. Dass dieser Traum nicht Wirklichkeit wurde, hat Ilse Steinbrück bis ins Alter bedauert.
    Die Steinbrücks bewohnten im Schrötteringksweg 5 in Hamburg-Uhlenhorst eine weitläufige Wohnung im ersten Stockwerk eines eleganten Gründerzeithauses, das heute noch steht. Schon Großvater Schaper hatte die Wohnung angemietet, und sie blieb lange Zeit im Besitz der Familie, auch als diese größer wurde. Erst kam der aus Pommern geflüchtete Ernst Steinbrück hinzu, dann Peer und sein Bruder Birger, die ihre gesamte Kinder- und Jugendzeit mit ihren Eltern dort verbrachten. Die Wohnung bestand aus sechs Zimmern und entsprach, wie sich ein Nachbar erinnert, dem typischen »Hamburger Schnitt«. Drei Räume lagen nach vorne heraus, die anderen im hinteren Teil. Die vorderen Zimmer dienten eher repräsentativen Zwecken; hier versammelte sich die Familie, empfing Gäste und nahm die Mahlzeiten ein. Die Schlaf- und Kinderzimmer sowie Bad, Küche und die in solchen Wohnungen übliche Kammer für die Magd befanden sich an einem separaten Gang.
    Nachdem das Wohnhaus die Bombennächte im Juli 1943 unbeschadet überstanden hatte, kamen schnell weitere Bewohner hinzu. Kurz nach dem Feuersturm stellten sich plötzlich Leute aus der unmittelbaren Nachbarschaft ein. Die gegenüberliegenden Häuser waren vollständig zerstört worden, und die unglücklichen Bewohner hatten das wenige, das ihnen geblieben war, mühsam aus den rauchenden Trümmern geborgen und auf einen Handkarren geladen. Mit dem zogen sie hilflos und mit letzter Hoffnung zum Haus der Steinbrücks. Der Großvater zögerte nicht lange und nahm die Familie auf. Wenigstens kannte er sie und wusste, woran er mit den neuen Mitbewohnern war. Angesichts der Zerstörung rundum konnte er sich an fünf Fingern ausrechnen, dass die vielen ausgebombten Bürger sowieso recht bald von den Ämtern auf die unversehrten Häuser verteilt würden. Mit der Aufnahme der Nachbarn kam Steinbrücks Großvater also letztlich nur der Zwangseinweisung gänzlich unbekannter Leute zuvor. Der erst nach dem Krieg geborene Enkel erinnert sich immerhin schwach daran, dass die einquartierte Familie wegen der großen Wohnungsnot bis Anfang der

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