Steinbrück - Die Biografie
mehr und mehr auf gutachterliche Tätigkeiten. Dahinter stand, so wird berichtet, wohl die nüchterne Selbsterkenntnis, dass er in der Architektur nicht als besonders kreatives oder gar künstlerisches Talent herausragte. Ernst Steinbrück spezialisierte sich schließlich auf Schadensgutachten für Gebäude; denn in diesem Metier standen Aufwand und Ertrag in einem sehr effizienten Verhältnis zueinander. Auch diese berufliche Entscheidung kann als eine jener nüchternen Erwägungen gelten, die typisch für den Vater waren.
Ganz im Stil der Fünfzigerjahre widmete sich Ernst Steinbrück ausschließlich seinem Beruf. Den Haushalt sowie die Erziehung der beiden Söhne – vier Jahre nach Peer war Birger zur Welt gekommen – überließ er vollständig seiner Ehefrau Ilse. Die Kinder sprachen wenig mit ihm. Was nicht allein an der Berufstätigkeit des Vaters lag, sondern eher daran, dass er kein Mann großer Worte war und nicht über sonderliche Empathie verfügte. Steinbrück hat später über seinen Vater einmal gesagt, dass er »dem etwas schwerblütigen deutschen Teil unserer Familie« zuzuordnen gewesen sei.
Obwohl Ernst Steinbrück gemäß der klassischen Rollenverteilung nach außen hin den Platz als Vorstand der Familie einnahm, wird er als wenig dominanter, ja sogar zurückhaltender Mensch beschrieben. Auch in Diskussionen mit seiner schlagfertigen Frau und den beiden wortgewandten Söhnen zog er, der ruhige und in sich gekehrte Mann, oft den Kürzeren. Die Lust zum Spott, zur Ironie und die Fähigkeit, mit Worten zu spielen, besaß er im Gegensatz zu seiner Familie nicht.
»Man kann damit Menschen ausgrenzen«, gestand sein Sohn Peer später einmal in einem wunderbaren Interview mit Susanne Höll ( Süddeutsche Zeitung , 9.1.2012). »Mein Vater erlebte das bei uns zu Hause. Meine Mutter, mein Bruder und ich haben diesen Sinn für Komik und Ironie, der meinem Vater fehlte. Er hat das mit einer großen Toleranz und Souveränität akzeptiert.«
Politisch stand Ernst Steinbrück der CDU nahe. Jedenfalls schätzte er Konrad Adenauer und seine Politik außerordentlich und unterstützte auch die Regierungen der Nachfolger Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger durch seine Stimme. Ganz im Stil jener Zeit neigte Steinbrücks Vater persönlich wie weltanschaulich dazu, Neues eher skeptisch zu betrachten und grundsätzlich lieber in Ruhe gelassen zu werden.
Seine Zurückhaltung und schwache familiäre Präsenz wurden jedoch nicht als Mangel empfunden, ließen sie doch viel Raum für eine ungestörte und selbstständige Entwicklung der beiden Söhne. Da sie im Vater kein strenges und begrenzendes Oberhaupt der Familie fanden, nutzten Peer und Birger die sich bietenden Freiräume weidlich aus. Früh agierten beide unabhängig und eigenständig und trafen selbst ihre Entscheidungen. Das Fehlen einer einengenden väterlichen Autorität trug wohl stark dazu bei, dass die Steinbrück-Söhne nach und nach ein großes und überaus robustes Selbstbewusstsein entwickelten.
Aus völlig anderem Holz als der Vater war Peer Steinbrücks Mutter Ilse geschnitzt, die Tochter des Hamburger Tabakhändlers Schaper. Offenbar ganz nach ihrer dänischen Mutter geraten, verfügte sie über ein lebensfrohes Naturell und große Aufgeschlossenheit und wird als lebenskluge und liberal denkende Frau beschrieben. Beide Söhne haben sehr an der Mutter gehangen, denn sie war für sie die eigentliche Bezugsperson. Das lag nicht nur daran, dass Ilse in der für diese Zeit typischen Alleinverdienerehe der Steinbrücks ohnehin mehr Zeit mit den Kindern verbrachte. Sie war im Gegensatz zu ihrem Mann auch diejenige, die ständig das Gespräch suchte, auf die Jungen einging, immer ein Ohr für sie hatte, ihnen Geschichten erzählte und ihre nicht enden wollenden Fragen gerne und liebevoll beantwortete.
Als junges Mädchen war sie in den Dreißigerjahren, nach der Machtübernahme der Nazis, von ihren Eltern vorsichtshalber zu den Verwandten nach Dänemark geschickt worden. Sie hat erst einige Jahre in der Heimat ihrer Mutter gelebt und später dann eine ganze Weile in Schweden. Auf diese Weise kam sie nicht nur um die Mitgliedschaft im Bund Deutscher Mädchen herum, dem damals kaum eine deutsche Tochter entkommen konnte. Ihr blieb vor allem in einer wichtigen persönlichen Entwicklungsphase die autoritäre und ideologische Erziehung erspart, die ihr beim Verbleib in Nazideutschland an den Schulen und in den Jugendorganisationen der NSDAP gedroht
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