Steinbrück - Die Biografie
Fünfzigerjahre in der Wohnung am Schrötteringksweg blieb. Als Peer 1953 eingeschult wurde, waren die Zimmer allerdings wieder frei.
Auf seine Schulzeit blickt Steinbrück mit sehr gemischten Gefühlen zurück. Obwohl hochintelligent durchlebte er einige schwere Jahre. Nach der Grundschule wurde er zunächst, wie das im gehobenen Bürgertum so üblich war, auf eine Lehranstalt klassischen Zuschnitts geschickt: auf das Johanneum in der Maria-Louisen-Straße. Diese »Gelehrtenschule«, wie sich die Einrichtung immer noch mit selbstbewusstem Bildungsstolz nennt, ist die älteste und traditionsreichste höhere Schule Hamburgs. Sie wurde 1529 von Johannes Bugenhagen gegründet, dem Hamburger Reformator und Freund Martin Luthers. Berühmte Männer aus verschiedenen Jahrhunderten erlangten hier ihre Hochschulreife: Walter Jens, Harry Graf Kessler, Johann Georg Mönckeberg, Gottfried Semper und Johann Hinrich Wichern. Auch der Schriftsteller Ralph Giordano war Schüler des Johanneums. Allerdings musste er die Anstalt wegen seiner jüdischen Wurzeln zwangsweise wieder verlassen. Diese bitteren Erlebnisse hat er in seinem autobiografischen Erfolgsroman Die Bertinis auf anschauliche und bedrückende Art verarbeitet.
Heute wirbt die Hamburger Traditionsschule ohne falsche Bescheidenheit mit dem Slogan »Zukunft braucht Herkunft«. Eine Schülerin beschreibt ihre Empfindungen beim Betreten der Lehranstalt wie folgt: »Wenn ich das große, schöne dunkelrote Gebäude vor mir erblicke, dann werde ich jedes Mal ernst, weil es so alt, still und ehrwürdig ist.« Nach bestandenem Abitur gab es jahrzehntelang das Ritual, im dunklen Anzug die nicht mehr benötigten Schulhefte in einem großen Freudenfeuer zu vernichten. Aus Übermut warfen die Hamburger Bürgersöhne gerne ihre Hüte hinterher. Es ging eben sehr gehoben zu, und man hielt auf sich. Entsprechend wurde der Winterball des Johanneums im traditionsreichen und vornehmen Hotel Atlantic an der Alster gefeiert.
Auf den jungen Peer hat die Eliteschule allerdings keinen sonderlichen Eindruck gemacht – zumindest haben die alten und ehrwürdigen Mauern seinen Lerneifer nicht beflügelt. Im Gegenteil: Hier begann seine »wilde Schulgeschichte«, wie er selbst einmal einräumte. Vor allem die alten Sprachen, die dort unterrichtet wurden, waren Peer ein Gräuel. Ganz besonders abgeschreckt hat ihn Altgriechisch. Schon damals ging ihm beim Pauken die verzweifelte Frage durch den Kopf, warum um alles in der Welt er neben Latein noch eine weitere tote Sprache lernen sollte, zudem eine mit ganz anderen Schriftzeichen.
Heute gibt Steinbrück zu, dass sich zu der Abneigung gegen Altgriechisch eine generelle Lernunlust hinzugesellte und eine gänzlich fehlende Neugier auf den Unterrichtsstoff. Für pubertierende Jugendliche zwar nicht ungewöhnlich, doch bei ihm zog es dramatische Konsequenzen nach sich. Er fiel mit Pauken und Trompeten durch die Prüfungen und musste 1961 die gediegene Bildungsanstalt verlassen. In Latein, Altgriechisch und Mathematik wies sein Zeugnis aus diesem Jahr ein schlichtes »Mangelhaft« auf. Auch sonst konnte er nicht glänzen: Alle anderen Fächer wurden lediglich mit »Ausreichend« benotet. Die einzige Ausnahme auf diesem überaus tristen Abgangszeugnis bildete Geschichte, schon damals Peers Lieblingsfach. Dort erreichte er immerhin ein »Befriedigend«.
Da der Sohn die alten Sprachen ablehnt, schicken ihn seine Eltern anschließend auf das neusprachliche Gymnasium Barmbeck-Uhlenhorst, ohne dass sich allerdings ein wirklicher Erfolg einstellt. Der Pennäler Peer tut sich weiterhin schwer mit der Schule. Den Knoten zum Platzen bringt die Tatsache, dass er erneut sitzen bleibt und ein weiteres Jahr wiederholen muss. Das ist eine peinliche, weil im Familien- wie Freundeskreis weithin sichtbare Niederlage. Sie wirft ihn zum Glück nicht um, sondern fordert wie beim Schach mit der Großmutter sein Kämpferherz heraus. Als er das Zeugnis mit dem vernichtenden Urteil »Nicht versetzt« in den Händen hält, schwört er sich: »Das passiert dir nicht wieder.«
Für ihn, dessen Ehrgeiz langsam erwacht, ist das Sitzenbleiben nicht nur eine persönliche Schmach. Am schlimmsten empfindet er den Umstand, durch die Wiederholung des achten Schuljahrs aus dem alten Klassenverband herausgelöst zu sein. Er hat dort zahlreiche Freunde gefunden, zu denen er künftig nur noch eingeschränkten Kontakt pflegen kann. Was im weiteren Sinne ebenso für die Schwestern der
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