Steinbrück - Die Biografie
Klassenkameraden gilt. Zu dieser Zeit finden nämlich die ersten Partys statt, und die Mädchen sind – beim damals noch nach Geschlechtern getrennten Schulsystem – schwer erreichbare Objekte einer beginnenden Begierde.
Als Segen stellt sich schließlich der letzte Schulwechsel heraus, der Steinbrück auf das Wirtschaftsgymnasium am Hamburger Lämmermarkt bringt. Hier findet er sich nach zahlreichen schulischen Irrungen und Wirrungen endlich zurecht. Vor allem nimmt er die Herausforderung an, beteiligt sich am Unterricht, lernt und hat damit Erfolg. Außerdem ist der stärker am realen Leben ausgerichtete Unterrichtsstoff des Wirtschaftsgymnasiums mehr nach seinem Geschmack.
Steinbrück kommt schließlich glatt durch die Mittel- und Oberstufe, verbessert kontinuierlich seine Leistungen und legt 1968 erfolgreich seine Abiturprüfung ab. Allerdings ist er da schon 21 Jahre alt, ein Umstand, der ihn in den nächsten Jahren bei seinen beruflichen Planungen immer etwas belasten wird. Weil er als Schüler unnötig viel Zeit verloren hat, hängt er bei seiner Karriere nach eigenem Empfinden immer etwas hinterher, zumindest in den ersten Jahren.
Kapitel 3
Vom Bürgersohn zum Genossen
A ls Peer Steinbrück 1968 sein Abitur machte, befand sich die Welt in Aufruhr. Die USA hatten sich in Vietnam in einen aussichtslosen und immer brutaleren Krieg verstrickt, gegen den in Amerika und Europa Millionen Menschen mit steigender Empörung demonstrierten. Gleichzeitig kämpfte die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten verzweifelt gegen Rassentrennung und Ausgrenzung und musste am 4. April ohnmächtig mit ansehen, wie ihr Anführer Martin Luther King seinen Kampf für einen gerechten Platz in der von Weißen dominierten US-Gesellschaft mit dem Leben bezahlte. Wenige Wochen später wurde Robert F. Kennedy erschossen. Im damaligen Ostblockland Tschechoslowakei blühte kurz der Prager Frühling, bevor die Panzer der Sowjetarmee die zarten Knospen der Freiheit ohne Vorwarnung niederwalzten. Nicht besser erging es den aufbegehrenden Studenten im Nachbarland Polen, nur dass hier eigene Milizen die sogenannten Märzunruhen beendeten. In Paris kam es im Mai 1968 zu Barrikadenkämpfen. Die Polizei wollte die Revolte niederschlagen, die mit Studentenunruhen begonnen hatte, einen Generalstreik nach sich zog und mit gewaltsamen Ausschreitungen in ganz Frankreich endete. Das alles passierte in einem Jahr.
Auch in Deutschland gingen die Studenten auf die Straße. Sie demonstrierten gegen die Notstandsgesetze, den Vietnamkrieg und die Ausbeutung der Dritten Welt. Immer lauter forderten die jungen Leute zudem eine Aufarbeitung der Nazizeit und die Entfernung belasteter Nationalsozialisten aus führenden Positionen im öffentlichen Leben der jungen Bundesrepublik. Mit dem Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke am 11. April radikalisierte sich der Protest. Die außerparlamentarische Opposition (APO) ging gewaltsam gegen den Axel Springer Verlag vor und versuchte mit massiven Aktionen, die Auslieferung der Bild- Zeitung zu verhindern. Ein anderer, kleiner Teil der Bewegung entschied sich für den bewaffneten Kampf im Untergrund – die Keimzelle der terroristischen Roten Armee Fraktion (RAF) war geboren.
Das aufgeheizte gesellschaftliche Klima spürte man auch im gutbürgerlichen Hamburg-Uhlenhorst. In der Familie Steinbrück wurde über Ostpolitik und die Frage diskutiert, ob die zunehmenden Demonstrationen nun »Rowdytum« seien, wie das damals hieß, oder ob es sich dabei um die legitime Wahrnehmung eines Verfassungsrechts handele. Desgleichen war die Frage nach dem Sinn bürgerlicher Lebensformen und gesellschaftlicher Konventionen wie in vielen anderen deutschen Familien zu dieser Zeit ein fester Bestandteil der Gespräche. Peer und der vier Jahre jüngere Bruder Birger nahmen nur allzu gerne das Vorrecht der Jugend wahr, Bestehendes infrage zu stellen oder gar offen anzuzweifeln. Ihre aufgeschlossene, dank ihres skandinavischen Erbes ohnehin freiere Mutter stand dabei oft auf der Seite der Söhne. Sie selbst akzeptierte längst nicht alles, was in Deutschland damals so gerne als »herrschende Verhältnisse« beschrieben wurde.
Wenn Steinbrück heute über die Jahre der Nach-Adenauer-Ära spricht, tauchen die Worte »Mief« und »Bigotterie« recht häufig auf. Die Widersprüche zwischen den gesellschaftlichen Moralansprüchen und dem tatsächlichen Leben traten in dieser Zeit für den Heranwachsenden immer
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