Steinbrück - Die Biografie
beschäftigt war und sachpolitische Entscheidungen kaum noch getroffen wurden. Zum anderen konnte in einem politischen Querschnittsthema wie Forschung und Technologie nur dann etwas bewegt werden, wenn die für die Bildungs- und Wissenschaftspolitik zuständigen Länder mitzogen. An ihnen hängen nämlich in aller Regel auch die Hochschulen, ohne deren Kooperation wiederum kein Bundesforschungspolitiker etwas in Gang setzen kann. Dem Minister von Bülow blieb da nur wenig Spielraum: Gegen Ende der sozialliberalen Koalition war eine fruchtbare Zusammenarbeit des Bundes mit den unionsgeführten Ländern kaum noch möglich.
Außerdem lag Andreas von Bülow das neue Ressort nicht wirklich. Der promovierte Jurist hatte zuvor das Verteidigungsministerium geführt und interessierte sich wesentlich mehr für Außen- und Sicherheitspolitik und später für die Geheimdienste. So veröffentlichte er nach seinem Ausscheiden aus der Politik mehrere Sachbücher über verdeckte Operationen von BND, CIA und anderen Diensten. Eines der Bücher gipfelt in der These, die US-Regierung habe die Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001 geplant und vom CIA und Mossad ausführen lassen. Seitdem gilt von Bülow als sensationsheischender Verschwörungstheoretiker.
Steinbrück fühlte in jener Zeit als von Bülows persönlicher Referent schon, dass es mit der Regierung Schmidt allmählich bergab ging – nicht nur weil im eigenen Ministerium nicht mehr viel passierte. In den Reihen der Sozialdemokraten mehrten sich Anfang der Achtzigerjahre laute Klagen über den liberalen Koalitionspartner, der unverkennbar die Auseinandersetzung mit der SPD suchte. Bereits 1981 sorgte ein Brief von Außenminister Hans-Dietrich Genscher an die FDP-Mitglieder für Aufregung. Darin stimmte er die Liberalen unverblümt auf bevorstehende Konflikte mit der SPD in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen ein. Mit dem berühmten Lambsdorff-Papier, das am 6. September 1982 in Auszügen in der Bild -Zeitung erschien, wurde dann die Trennung eingeleitet. In seinem »Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit« hatte der damalige FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff in plakativer Form einen wirtschaftsliberalen Forderungskatalog zusammengestellt, der von der SPD als gezielte Provokation verstanden wurde. Letzten Endes ging das vom damaligen Abteilungsleiter und späteren Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer konzipierte »Lambsdorff-Papier« als Scheidungsurkunde der sozialliberalen Koalition in die Geschichte ein.
Es lohnt sich durchaus, das Papier heute noch einmal zu lesen und mit Passagen aus Peer Steinbrücks Buch Unterm Strich zu vergleichen. Dabei merkt man schnell, dass die Problemanalyse sowie die Lösungsempfehlung von Lambsdorff 1982 und Steinbrück 2011 gar nicht so weit auseinanderliegen: Eine zunehmende Verschuldung des Staates, die Ausweitung der Sozialleistungen bei gleichzeitiger Anhebung der Tarifgehälter, die Steigerung der Lohnnebenkosten, die wachsende Bürokratisierung und die Vernachlässigung des investiven Anteils der Staatsausgaben galten damals wie heute als Grund für vermindertes Wachstum und steigende Arbeitslosigkeit. Auch die Gegenrezepte ähneln sich: Stabilisierung der Lohnnebenkosten, Absenkung der Zumutbarkeitsgrenzen für Arbeitslose, Erhebung eines Eigenanteils der Versicherten an den explodierenden Gesundheitskosten, Verlängerung der Lebensarbeitszeit, Anpassung der Rentenformel an die steigende Zahl der Rentner, Flexibilisierung der Arbeitszeit, Konsolidierung der Staatsfinanzen und Verringerung der Staatsquote – all diese Empfehlungen des »Lambsdorff-Papiers« von 1982 waren auch Bestandteil der rot-grünen Agenda 2010 sowie der Regierungspolitik der Großen Koalition unter Mitwirkung von Peer Steinbrück. Der Ökonom und Publizist Albrecht Müller, einst Redenschreiber von Karl Schiller und dann SPD-Bundestagsabgeordneter, kam schon 2004 im Streit um die Agenda 2010 bei der neuerlichen Lektüre des »Lambsdorff-Papiers« zu dem Schluss, dass »unsere heutigen Modernisierer die eigentlichen Traditionalisten sind« (Albrecht Müller/Wolfgang Lieb, Nachdenken über Deutschland ). Steinbrück würde dieser Auffassung heute allerdings energisch widersprechen. Damals jedoch verstand und empfand er die Streitschrift von Lambsdorff als Kriegserklärung an die SPD.
Als im Spätsommer 1982 die sozialliberale Ära schließlich zu Ende geht,
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