Steinbrück - Die Biografie
landet der Referent Steinbrück mit dem SPD-Parteibuch »postwendend in der Tiefgarage«, wie er sich knurrend erinnert. Wirklich erstaunlich ist das nicht: Nach der Wahl von Helmut Kohl zum Bundeskanzler veranstalten die neuen Amtsinhaber in den übernommenen Bundesministerien erst einmal eine »Nacht der langen Messer«. Sämtliche sozialdemokratischen Abteilungsleiter werden ohne weitere Begründung in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Auch die Referenten der früheren Minister und Staatssekretäre und andere politisch exponierte Mitarbeiter können nicht auf Gnade hoffen. Das ist zwar nicht ungewöhnlich bei Regierungswechseln, jedoch wird nach der Wende 1982 seitens der Union besonders gründlich aufgeräumt. Die lange, karge Wartezeit in der Opposition hat offenkundig einen wahren Heißhunger auf die Fleischtöpfe der Macht entfesselt.
Steinbrück steht wieder einmal vor der Tür. Das bisherige Büro wird von seinem Nachfolger besetzt, und die neue Hausleitung hat »vergessen«, ihm einen anderen Arbeitsplatz zuzuweisen. Drei Monate lang kümmert sich niemand um ihn. Er könnte genauso gut zu Hause Däumchen drehen – den neuen Führungsleuten im Ministerium scheint das egal zu sein. Die haben einfach kein Interesse mehr an ihm.
Was für andere in seiner Lage Anlass für eine Zäsur wäre, nimmt Steinbrück zähneknirschend hin. Acht Jahre lang hat er als Referent gearbeitet, ja geschuftet, sich viele Abende und Wochenenden mit drei Ministern um die Ohren geschlagen. Eine besondere Beförderung ist nicht dabei herausgesprungen. Sein Parteibuch hat ihm geholfen, gewiss, aber eine Blitzkarriere sieht anders aus. Und jetzt ist er wieder bei null angelangt. Zudem ahnt Steinbrück, dass die SPD so schnell nicht wieder aus der Opposition herausfinden wird. Und als Sozialdemokrat kann er kaum auf einen weiteren Aufstieg hoffen – zumindest nicht im Bonn von Helmut Kohl.
Was also tun? Etwas Neues versuchen außerhalb der Politik? Er ist ja erst 35 Jahre alt, hat ein glänzendes Diplom in der Tasche und gilt als heller Kopf. Warum nicht bei einer Bank oder Versicherung anheuern oder bei einem der großen Beratungsunternehmen? Viele in seiner Situation würden wohl darüber nachgedacht haben, nicht so Steinbrück. Er habe keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, etwas anderes zu machen, versichert er später. Ganz im Gegenteil: Die Politik hat ihn gepackt, und er ist bereits so tief in diese Leidenschaft eingetaucht, dass er sich dazu überhaupt keine Alternative vorstellen mag.
Also schaut er sich während seiner wochenlangen Zwangspause nach einem neuen Job in der Politik um. Er hat schließlich gelernt, dass es selbst nach Niederlagen immer irgendwie weitergeht. Aufgeben – nein, undenkbar. Schließlich kommt er Anfang 1983 in der SPD-Bundestagsfraktion unter. Er wird wieder als Referent eingestellt und koordiniert in der Folge einen Arbeitskreis, der sich um Wirtschaft und Technologiefragen kümmert. Schnell aber merkt Steinbrück, dass eine andere Zeit begonnen hat. »Opposition ist Mist« – dieses schnörkellose Bekenntnis von Franz Müntefering gilt auch 1982 für die von der Regierungsbank vertriebene SPD. Ohne wirkliche Macht lässt sich eben keine einzige der vielen klugen Ideen umsetzen, die Steinbrück und andere in ihren Papieren für die Fraktion entwickeln. Auf Dauer arbeitet man in der Opposition für den Papierkorb. Für einen Machertypen wie ihn wirkt das frustrierend. Außerdem ist Steinbrück dem Rang nach immer noch Referent, obwohl er seine Beamtenlaufbahn eines Tages mit der höchstmöglichen Dienststufe zu krönen beabsichtigt und als Staatssekretär in Pension gehen will. Doch alle seine schönen Pläne scheinen mit einem Mal weit weg und lösen sich in Luft auf. Die politische Perspektivlosigkeit in Bonn nagt an dem ehrgeizigen Sozialdemokraten.
Also hörte er sich in den Regionen um, in denen die SPD noch regierte. Die einfachste Möglichkeit stellte Nordrhein-Westfalen dar. Zum einen war die Politik im bevölkerungsreichsten Bundesland nicht ganz so provinziell wie in den kleinen Ländern oder gar in den Stadtstaaten, wo sich das Regieren zumeist auf die Lokalpolitik beschränkte. Zum anderen lag die Landeshauptstadt Düsseldorf fast vor der rheinischen Haustür. Da die Familie Steinbrück sich im Laufe der Jahre in Bonn eingelebt hatte und dort auch bleiben wollte, spielte die Entfernung zum neuen Dienstort eine große Rolle. Nach gut eineinhalb Jahren in der
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