Steinbrück - Die Biografie
Reihen. Berühmt-berüchtigt wurde eine ebenso spöttische wie hilflose Bemerkung von Willy Brandt. Der formulierte mitten im Wahlkampf 1987 den verhängnisvollen Satz: »42 Prozent sind auch ein schönes Ergebnis.« Am Ende wurden es bloß 37 Prozent. Steinbrück fällt über Brandts Kommentar in seinem Buch ein vernichtendes Urteil. Damit »brach die Strategie, in Ermangelung einer realistischen Alternative hochstapelnd auf Sieg zu spielen, in sich zusammen«. Heute, so fügt Steinbrück hinzu, wären »42 Prozent in der Tat ein sehr schönes Ergebnis«. Damit macht er klar, dass die Wahl 2013 für die SPD nur zu gewinnen ist, wenn sie über eine echte Machtperspektive, sprich: über einen oder besser zwei potenzielle Koalitionspartner verfügt.
Darüber hinaus beging die SPD auch nach 1987 immer wieder den Fehler, Kanzlerkandidaten aus den Ländern aufzustellen, obwohl diese im Bund entweder nicht genügend Erfahrung besaßen oder wie Rau aus anderen Gründen keine Chance hatten. Bei der Wahl im Vereinigungsjahr 1990 trat der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine an. Danach versuchte 1994 der rheinland-pfälzische Regierungschef Rudolf Scharping sein Glück, nachdem im Jahr zuvor der eigentlich designierte Björn Engholm von allen Ämtern zurückgetreten war. Keiner erreichte sein Ziel. Mit Ministerpräsidenten als Kanzlerkandidaten war der SPD nach Willy Brandt lange kein Erfolg mehr beschieden. Erst der Niedersachse Gerhard Schröder konnte 1998 das Blatt wieder wenden. Auch diese Erfahrung mag ein Grund dafür sein, dass sich die heutige Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, und der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, nach Kräften bemüht haben, nicht ernsthaft in die Debatte um die Kanzlerkandidatur für 2013 hineingezogen zu werden.
Nach der verlorenen Bundestagswahl 1987 kehrte Rau wieder nach Nordrhein-Westfalen zurück und widmete sich der Landespolitik. Er war enttäuscht, konnte aber nicht lange seine Wunden lecken. Die Krisen in der Montanindustrie, der Strukturwandel der Industrie und die schwierige Lage des hoch subventionierten Steinkohlebergbaus an der Ruhr forderten seine ganze Aufmerksamkeit. Steinbrück verharrte in dieser Zeit als Büroleiter wie gewohnt in der zweiten Reihe. Er lernte das Land kennen und knüpfte innerhalb der SPD viele Kontakte, dabei seiner angestammten Rolle als Ratgeber und Zuarbeiter treu bleibend. Noch.
Der lange erhoffte Anruf, der ihn endlich auf die oberste Karrierestufe befördern wird, erreicht ihn 1990 und kommt ausgerechnet aus Kiel. Zu jener Zeit regiert dort noch Björn Engholm als sozialdemokratischer Ministerpräsident. Die Welle des Barschel-Skandals von 1987 rollt zwar schon wieder auf die SPD zurück, aber die sogenannte »Schubladenaffäre«, die Engholms politische Laufbahn 1993 beenden sollte, ist noch nicht in Sicht. Die Kieler Landesregierung bietet Steinbrück an, Staatssekretär im Ministerium für Natur, Umwelt und Landesentwicklung zu werden.
Steinbrück nimmt das Angebot sofort an, muss gar nicht erst überlegen. Lange genug hat er zugearbeitet, beraten, sich im Hintergrund gehalten und als Beamter seine Pflicht getan. Jetzt ist er 43 Jahre alt und will endlich selbst entscheiden, selbst Politik machen und nicht nur die politischen Entscheidungen anderer umsetzen. Steinbrück sagt freudig zu – und beginnt einen neuen Lebensabschnitt. Aus dem Staatsdiener ist ein Politiker geworden.
Kapitel 5
Vom Beamten zum Politiker
D as »Land zwischen den Meeren«, wie Schleswig-Holstein gerne genannt wird, ist nicht gerade der Nabel der Welt. Zwar werden die Küsten an Nord- und Ostsee zu Recht als reizvolle Urlaubsziele geschätzt. Ansonsten aber besteht das zweitkleinste Flächenland der Bundesrepublik vor allen Dingen aus flachen Wiesen mit weitem Horizont und hohem Himmel. Die abgeschiedenen Geest- und Marschlandschaften entfalten einen eher spröden Charme, und die Menschen in dieser Gegend gelten als nüchtern und wortkarg. Bedingt durch die nördliche Randlage und die vergleichsweise dünne Besiedlung ist die Wirtschaftsstruktur schwach. Neben dem Agrarsektor und dem Fischfang dominieren Tourismus sowie Seehandel und Schiffsbau, während viele andere Erwerbszweige eine rückläufige Entwicklung aufweisen.
Wer unter diesen Bedingungen Politik machen will, braucht Ausdauer, Sturheit und den unbedingten Willen, den Reiz des Regierens im Mikromanagement zu finden. Peer Steinbrück kennt
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