Steinbrück - Die Biografie
sondern da redet ein anerkannter und prominenter Politiker offen über Missstände, über Probleme und bittere Wahrheiten. Dass er, innerlich aufgeräumt und angriffslustig, die eigenen Leute nicht schont, macht ihn nur noch glaubwürdiger.
Sein Publikum ist bunt und vielschichtig. Es besteht keineswegs aus SPD-Mitgliedern, sondern aus normalen Bürgern, aus Bankern und Hausfrauen, Studenten und Alleinerziehenden. Steinbrück schafft es, bei den politikverdrossenen Deutschen wieder spürbares Interesse für die großen Fragen der Zeit zu wecken. Egal wo er hinkommt, spricht er vor vollem Haus, erntet Applaus und Anerkennung.
Dass ihm angesichts des gewaltigen Medienechos sofort Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur unterstellt wurden, gehört inzwischen zum willkommenen Spiel. Steinbrück hat sich zu diesem Zeitpunkt in der Tat bereits dazu durchgerungen, seinen Hut wieder in den Ring zu werfen. Entsprechenden Mutmaßungen widersprach er zunächst allerdings noch mit der sarkastischen Bemerkung, er wolle gerne mal die SPD sehen, die einen wie ihn zum Spitzenkandidaten küre.
Es war schließlich Sigmar Gabriel, der Steinbrück auf einer Veranstaltung im Willy-Brandt-Haus erstmals als denkbaren Kanzlerkandidaten bezeichnete. Wenige Tage darauf, im September 2010 bei der Buchvorstellung in seiner Geburtsstadt Hamburg, räumte Steinbrück offen seine Ambitionen ein: »Wenn es Spitz auf Knopf käme und man mich bitten würde, in einer schwierigen Lage Verantwortung zu übernehmen, würde ich mich nicht verweigern.«
Solche Sätze formulieren weder Sigmar Gabriel noch Peer Steinbrück aus einer Augenblickslaune heraus. Sie folgen einem großen Plan, an dessen Ende »die Heimholung des Genossen Peer in die Gefühlswelt der SPD« steht, wie der Stern einmal treffend feststellte. Gabriel hat früh erkannt, dass er auf das Potenzial des Krisenmanagers außer Diensten kaum verzichten kann. Instinktiv spürt der SPD-Vorsitzende, dass er jemanden wie Steinbrück braucht, um die SPD wieder aufzurichten. Gabriel hat es in seinem schweren Amt als Parteichef zwar vermocht, den Sozialdemokraten nach der katastrophalen Niederlage wieder etwas Vertrauen einzuflößen, aber die SPD war kaum in der Lage, vom Fehlstart der schwarz-gelben Regierung zu profitieren.
Die Umfragewerte von CDU, CSU und FDP rauschten schon ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl in den Keller. Dennoch landeten die von Merkel enttäuschten Wechselwähler nicht wieder bei den Genossen, sondern eher bei den Grünen oder im kräftig wachsenden Lager der Nichtwähler. Selbst der Verlust der CDU-Regierungsmacht in Nordrhein-Westfalen 2010 gab der SPD im Bund keinen zusätzlichen Schub. Nach wie vor beherrschen die Folgen der Finanzkrise die politische Debatte; hinzu kommen die immer klarer zutage tretenden Verwerfungen in Griechenland und innerhalb der gesamten Eurozone.
Gabriel weiß, dass weder er noch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier das Topthema Eurokrise richtig bedienen können. Ausufernde Staatsschulden in fast allen Euroländern, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit in Südeuropa, das schwindende Vertrauen der Investoren in Staatsanleihen – mit diesen Fragen verbinden die Deutschen bei den Sozialdemokraten eben nicht Namen wie Gabriel oder Steinmeier, sondern einen Finanzexperten wie Steinbrück. Gabriel hat schon Anfang 2010 gespürt, dass sich der schwankende Euro infolge der Weltfinanzkrise auf lange Sicht zum dominierenden Thema entwickeln würde. Kaum noch jemand redet seitdem über Klimaschutz oder die Bundeswehrmission in Afghanistan. Selbst klassische sozialpolitische Fragen wie Pflegeversicherung, Krankenkassenreform oder Alterssicherung sind in den Hintergrund getreten. Fast ausschließlich die Eurokrise beherrscht die Nachrichten.
Auch alte Ängste und Vorurteile der Deutschen sind im Zuge der europäischen Währungskrise wieder zum Vorschein gekommen. Da ist beispielsweise der bei Rentnern immer noch spürbare Groll, die starke D-Mark einst gegen den kriselnden Euro eingetauscht zu haben. Da ist der unvermeidliche deutsche Verdacht, in Europa von den anderen Staaten nur ausgenutzt zu werden. Und da ist schließlich die über allem schwebende deutsche Urangst, nach Weimarer Republik und Zweitem Weltkrieg ein drittes Mal das persönliche Vermögen in einer galoppierenden Inflation zu verlieren.
Jedenfalls stand für Gabriel schon 2010 außer Frage, dass Steinbrück das beste Pferd im SPD-Stall sei, wenn Währungskrise, volatile
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