Steinbrück - Die Biografie
schaffte es, in den inneren Kreis des Alten vorzudringen; Schmidt hat ihn bei vielen Gesprächen im Laufe der letzten Jahre sorgfältig gewogen und – was bei ihm eher die Ausnahme ist – sein Gegenüber für nicht zu leicht befunden. Nie aber könnte es umgekehrt sein – und das sagt alles. Erst wenn er selbst einmal Kanzler würde, wäre Steinbrück wahrscheinlich in der Lage, sich in Schmidts Gegenwart nicht immer noch ein bisschen so zu fühlen wie 1979 als Hilfsreferent in der Regierungszentrale.
Beim sommerlichen Besuch Steinbrücks am Brahmsee 2008 kündigte sich die Finanzkrise bereits mit leichtem Donnergrollen an, wenn auch das wahre Ausmaß des drohenden Unheils kaum erkennbar war. Dennoch verspürte Steinbrück den Wunsch, sich mit Schmidt auszutauschen. Er merkte, dass etwas in der Luft lag, das ihm weder die Experten im Bundesfinanzministerium noch die Ökonomieprofessoren befriedigend erklären konnten – von den wenigen Bankern, mit denen er bis dahin gesprochen hatte, einmal ganz zu schweigen.
Es war also nicht nur Bewunderung, die Steinbrück an den Brahmsee trieb, sondern die Fähigkeit Schmidts, in den Wirren der sich oft überschlagenden Tagespolitik die roten Linien zu erkennen und sie in einen ökonomischen und historischen Gesamtzusammenhang zu stellen. Steinbrück wusste, dass die Wellen höher schlagen würden, und er wollte wissen, welchen Kurs der alte Kapitän empfahl.
Schon weit vor der Krise hatte Schmidt in seinen Büchern und Reden den Begriff vom »Raubtierkapitalismus« geprägt. Er meinte damit ein Verständnis von freier Wirtschaft, das sich allen Regeln entzieht und sich immer mehr vom nachhaltigen Wachstum und den Gepflogenheiten der Realwirtschaft absetzt. Während sich die Finanzwelt noch an den erstaunlichen Umsätzen und Profiten der wuchernden Blase berauschte, warnte der politische Ökonom Schmidt bereits vor der Entkoppelung von Risiko und Haftung, vor dem Verlust von Maß und Mitte. Er ermunterte Steinbrück, die Dinge deutlicher beim Namen zu nennen und sich nicht von dem Nebel aus komplizierten englischen Begriffen und Abkürzungen verwirren zu lassen, in den sich die globale Finanzwelt bereits eingehüllt hatte. Wie richtig Schmidt mit seiner Warnung lag, zeigt allein der Umstand, dass die Banker am Schluss wirklich die Übersicht verloren hatten und gar nicht mehr wussten, was ihre »Asset Backed Securities«, ihre »strukturierten Anlageprodukte«, so alles enthielten.
»Dass Haftung und Risiko zusammengehören, ist keine linke Idee, sondern ein Grundprinzip der Marktwirtschaft« – Sätze wie diese, die Steinbrück in der Folge immer häufiger gebrauchte, geben mehr politische und ökonomische Orientierung als ein kluger Vortrag über Kreditausfallversicherungen oder über die im Trennbankensystem vorgesehene Differenzierung zwischen risikobehaftetem Investmentbanking und traditionellem Kredit- und Anlagegeschäft. Dass Steinbrück heute einem zwar wütenden, aber weitgehend ratlosen Publikum besser als jeder andere aktive Politiker die Mechanismen der Finanzwelt zu erklären vermag und die Auswirkungen der Krise zudem in einen gesellschaftlichen Kontext einordnen kann, ist sicher ein Resultat der vielen Gespräche mit dem Weltversteher Schmidt.
Auch über sein Buchprojekt sprach er mit dem Altkanzler. Schmidt, selbst Autor zahlreicher Bestseller und als Mitherausgeber der Wochenzeitung DIE ZEIT bestens im Hamburger Mediengeschäft bewandert, war Steinbrück sogar bei der Vermittlung eines Verlags behilflich. Und es passt, dass nach intensiven Verhandlungen mit Hoffmann und Campe ein renommiertes Haus zum Zuge kam, das seinen Sitz in Hamburg hat.
Als Steinbrück mit seinem Buch Unterm Strich die Bestsellerlisten stürmte und bei seiner Lesereise immer mehr Leute in immer größere Säle zog, entstand bei ihm der Gedanke, es doch noch einmal mit einem politischen Comeback zu versuchen. Er bezog Helmut Schmidt in seine Überlegungen ein und der bestätigte ihn. Was beiden besonders auffiel, war der Umstand, dass Steinbrück als Politiker mit einem politischen Buch trotz angeblicher oder echter Politikverdrossenheit immer volles Haus hatte und dabei Leute aus allen Teilen der Gesellschaft anzog. Hätte die SPD zu den Lesungen eingeladen, da ist sich Steinbrück sicher, wäre vielleicht nur ein Zehntel der Zuhörer gekommen. Er hat darüber auch mit Sigmar Gabriel gesprochen und dem SPD-Chef dringend geraten, die Formate der Parteiveranstaltungen zu ändern.
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