Steinbrück - Die Biografie
Was nicht mehr gehe, so Steinbrück, sei das bislang übliche Schema »Klatschmarsch, Einzug, irgendein Musikstück, eine einstündige agitatorische Rede, nach der die anderen immer die Vollidioten und die eigenen Leute immer die Schlaumeier sind, obwohl jeder im Publikum weiß, dass die Verteilung von Schlaumeiern und Idioten in den Parteien der Normalverteilung in der Bevölkerung entspricht«.
Wie Gabriel auf die Beobachtungen und Anregungen Steinbrücks reagiert hat, ist nicht bekannt. Bislang hat die SPD ihre Parteitage noch nicht als Lesungen organisiert. Aber Steinbrück wurde im Verlauf seiner Lesereise klar, dass sich mit Büchern und verständlichem Reden darüber etwas vermitteln lässt, was die deutsche Politik braucht und was das deutsche Publikum offenbar sehr schätzt: »face und substance«. Mit dem amerikanischen Schlagwort ist gemeint, dass die Leute eine große Sehnsucht nach Erfahrung und Substanz, nach einer erkennbaren Persönlichkeit, einem Gesicht, einer Figur mit Ausstrahlung und klarer Kante verspüren. Nicht zuletzt erklärt das die Popularität von Elder Statesmen wie Schmidt, Richard von Weizsäcker oder in zunehmendem Maße auch von Joschka Fischer.
Steinbrück hat lange darüber mit Schmidt gesprochen – nachzulesen in ihrem Gesprächsband Zug um Zug , wobei der Titel auch auf die Rauchwaren- wie Schachleidenschaft der beiden Männer anspielt. In diesem Zusammenhang hat der Alte dem Jüngeren zugeredet und ihm Mut gemacht, seinen Hut in den Ring zu werfen. Im Zeitalter der Globalisierung, der andauernden sozialen Umbrüche und der Verunsicherung sind weder entrückte Großvisionäre noch gemütliche Landesväter gefragt, sondern kühle, rationale Politikmanager, die keine emotionale Heizdecke brauchen, um ihr Publikum zu überzeugen. Leute wie er eben, wie Peer Steinbrück. Und in diesen Gesprächen mit Schmidt ist dann auch die Idee entstanden, dass der Altkanzler den Mentor gibt und seinen politischen Ziehsohn weithin erkennbar unterstützt.
Die »Mission Ritterschlag« oder die »Aktion Krücke«, wie böse Spötter später die politische Gehhilfe des Methusalem für seinen einstigen Referenten genannt haben, wurde generalstabsmäßig geplant. Zunächst trafen sich die beiden Männer zu regelmäßigen Gesprächsrunden, aus denen in vier Tagen die gedruckte Grundlage der Kanzlerkandidatenkür entstand. Mit solchen Gesprächsbänden hatte Schmidt schon in der Vergangenheit allerbeste Erfahrungen gesammelt. Den Beginn markierten die Hand aufs Herz -Interviews, in denen Sandra Maischberger als geduldig lernende Enkelin des Altkanzlers inszeniert wurde. Es folgten Gesprächsbände mit Giovanni di Lorenzo: Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt und Verstehen Sie das, Herr Schmidt? Sämtliche Bücher verkauften sich bestens, auch der Band Unser Jahrhundert mit dem Historiker Fritz Stern wurde ein voller Erfolg. Kaum vorstellbar, dass dies nicht ebenso im gedruckten Gespräch mit Peer Steinbrück gelingen sollte.
Der Clou in Zug um Zug wird scheinbar beiläufig auf Seite 157 versteckt – die Empfehlung von Helmut Schmidt, Peer Steinbrück zum Kanzlerkandidaten zu küren. Die beiden sind im Laufe des Gesprächs scheinbar »bei der Kandidatenfrage« gelandet, wie Schmidt das ganz unschuldig nennt. »Ich gehe davon aus, Peer, dass Sie sich zu dieser Frage nicht äußern wollen.« Der Angesprochene zögert und erinnert daran, »wie das die letzten beiden Male gelaufen ist«. Dann bittet er in einer langen Antwort wortreich um Verständnis. »Wenn dieses Buch erscheint, sind es noch zwei Jahre bis zur nächsten Bundestagswahl«, so Steinbrück. »Niemand kann verhindern, dass es dennoch bereits eine Debatte um die sozialdemokratische Kanzlerkandidatur gibt.« Er selbst werde sich deshalb erst äußern, »wenn mich der SPD-Vorsitzende danach fragen sollte. Ihm alleine steht es zu, einen Vorschlag zu machen – und die Mitglieder der SPD sollten nach meinem Dafürhalten die Möglichkeit bekommen, über Person und Programm zu entscheiden.« Steinmeier, Gabriel und er hätten »kein Interesse daran, dass diese Personalfrage die wichtigen Sachfragen überlagert«.
Doch Schmidt lässt nicht locker. »Im Prinzip kann ich diese Verabredung erstens gut verstehen, und zweitens halte ich sie durchaus für richtig«, lobt der Altkanzler. »Das muss mich aber persönlich überhaupt nicht daran hindern, meine Meinung zu sagen. Und ob Ihnen das nun sonderlich in den Kram passt oder nicht, Peer, ich bin
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