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Steinhauer, Franziska

Steinhauer, Franziska

Titel: Steinhauer, Franziska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angst
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ich es wirklich für eine gute Idee halten soll, dass Sie dorthin zurückkehren wollen.“
    „Ich habe wohl keine andere Wahl“, gab Jakob Gumper bekümmert zurück. „Es ist nicht so, dass ich unbedingt möchte.“
    „Die Zwangslage, in der Sie sich befinden, erkenne ich durchaus, doch Sie dürfen nicht vergessen: Die Menschen dort hassen Sie. Machen Sie sich nichts vor!“
    Jakob Gumper sah auf seine runzligen, schwieligen Hände, die eigentlich ruhig in seinem Schoß hätten liegen sollen. Sie zitterten und zuckten beunruhigend. Er schob sie ineinander und hoffte, der Psychotherapeut habe es nicht bemerkt.
    Dr. Jürgens’ graue, wache Augen tasteten sein Gegenüber ab. Jakob Gumper. Ein magerer, grobknochiger Mann mit grauer, faltiger Haut und markanten Gesichtszügen. Tief eingegrabene Falten zogen sich von den Nasenflügeln zu den hängenden Mundwinkeln, das Kinn war eckig und hart. In dem sonst teilnahmslosen Blick seines Patienten entdeckte er in der Tiefe jedoch ein neues, sengendes Feuer.
    Die Bedeutung dessen, was er sah, gefiel ihm nicht. „Und was wird aus den Kindern? Die wollen Sie doch hoffentlich nicht mitnehmen?“ Dr. Jürgens schob seinen schweren Körper auf dem Stuhl etwas weiter nach vorn und stützte die Ellbogen auf dem Schreibtisch ab. Seine plumpen, ineinander verschränkten Finger bewegten sich wie die kurzen Flügel eines kleinen Vogels.
    Der Patient konzentrierte sich derweil auf den Gartenausschnitt, den er am linken Ohr des Therapeuten vorbei gerade noch durchs Fenster einsehen konnte. Es gab keinen anderen Weg. Er hatte alle Möglichkeiten immer wieder durchdacht. Wie konnte er die Geschwister zurücklassen? Einen psychisch auffälligen Einzelgänger und seine Schwester, die alle Menschen nach Möglichkeit mied und sich oft tagelang in der schützenden Dunkelheit ihres Schranks verkroch und mit niemandem außer ihrem Bruder ein Wort sprach.
    Nein, er musste die beiden mitnehmen.
    „Sie wissen doch, dass die Kinder besonders sind“, er riss seinen Blick vom Garten los und sah Dr. Jürgens an, „ich kann sie unmöglich jemand Fremdem anvertrauen. Und in gewisser Weise ist es auch ganz in Ordnung so: Hätte ich mich damals besser um die beiden gekümmert, statt mich in meinem eigenen Elend zu vergraben, wäre bestimmt manches anders gekommen. An all ihren Eigenarten trage allein ich die Schuld.“
    „Von Schuld kann man hier nicht sprechen. Sie waren selbst krank und konnten den beiden während dieser Zeit folglich keine Stütze sein“, hielt der Therapeut dagegen und erinnerte sich an die vielen Anstrengungen des Vaters, seine Kinder bei der Bewältigung der für alle schwierigen Situation zu unterstützen. Aber Heiko und Helene hatten dickköpfig alle Therapieversuche unterlaufen.
    „Wie dem auch sei“, Jakob Gumper wischte dieses oft gehörte Argument beiseite, „Leopold ist vorletztes Jahr gestorben. Er kann seine kleinen fiesen Geschichten über mich nicht mehr erzählen. Vielleicht hat sich die Lage längst beruhigt.“
    „Möglich. Dann lassen Sie uns überlegen, was Sie dortvorfinden werden. Leopold ist gestorben – damit sind aber nicht zwingend auch seine Geschichten vergessen. Nur weil ihr Ankläger von damals tot ist, muss noch lange keine Ruhe eingekehrt sein, Herr Gumper.“ Der Therapeut lehnte sich in seinem Stuhl zurück und zupfte mit beiden Zeigefingern an seinem schütteren Ziegenbärtchen.
    Konzentriert starrte er an Jakob vorbei in die Ferne. „Ach – es war immer nur das dumme Gerede von Leopold, das die Leute alle paar Tage neu auf das Thema gestoßen hat“, behauptete Gumper trotzig.
    Er stockte und starrte auf seinen Schoß hinunter.
    Der Therapeut wartete schweigend ab, bis Jakob Gumper wieder weitersprechen konnte.
    „Ich war so mit meiner Trauer um Maria beschäftigt. Erst als ich Helene dort liegen sah, das viele Blut! Erst da begriff ich, dass etwas geschehen musste. Viel zu spät!“
    Damals, dachte Jakob, war er zu schwach zum Kämpfen gewesen. Ihm war nur die Flucht geblieben. Und so hatte er kurz entschlossen das Angebot eines Freundes aus Köln, zu ihm zu kommen, angenommen, nur das Nötigste eingepackt und war mitten in der Nacht aus St. Gertraud geflohen.
    Sie schwiegen.
    „Mein Bruder stirbt an einem Hirntumor“, erklärte Jakob Gumper schleppend. „Er ist jetzt aus dem Bozener Krankenhaus zurück. Waltraud, meine Schwägerin, glaubt, wir werden nur noch wenig Zeit haben, um uns voneinander zu verabschieden.“
    „Aber Sie

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