Steirerkind
mal beim Wandern verloren gehen, beziehungsweise achtlos weggeworfen werden. Auch diese Uhr haben wir sichergestellt. Wir haben sie unterm Gestrüpp gefunden, gleich hinter der Baumgruppe.«
Sandra griff nach dem Plastiksäckchen, das Siebenbrunner ihr entgegenhielt. Mit Uhren kannte sie sich gut aus. Um diesen massiven Chronographen zu verlieren, ohne es zu bemerken, musste man schon ziemlich weggetreten sein. Vielleicht war die Breitling ja dem Opfer oder dem Täter vom Handgelenk gerutscht. Die Automatikuhr war jedenfalls an einem 25. um fünf nach zwölf stehengeblieben, stellte Sandra fest. Dass sie noch intakt war, überprüfte sie durch kurzes, heftiges Schütteln, was den Sekundenzeiger für ein paar Takte in Gang setzte. Auf der Innenseite des Metallarmbands und an der Doppelfaltschließe waren deutliche Ablagerungen zu erkennen, bei denen es sich höchstwahrscheinlich um Hautabrieb des Trägers handelte. Eine DNA-Analyse war in jedem Fall angebracht, auch wenn die Uhr genauso gut von jedem x-beliebigen Spaziergänger stammen konnte.
»Seit wann genau wurde Wintersberger vermisst? Ich meine, nicht das Datum der Anzeigenerstattung, sondern den Tag seines Verschwindens?«
»Seine Frau hat angegeben, dass er in der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember von einer Weihnachtsfeier nicht nach Hause gekommen ist«, erinnerte sich Grübler.
»Und bei der Leiche wurde keine Uhr gefunden?«, vergewisserte sich Sandra.
»Nein«, meinte die Gruppeninspektorin.
Siebenbrunner runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, als hätte Sandra es verabsäumt, aufmerksam zuzuhören und die richtigen Schlüsse zu ziehen.
»Die Breitling Navitimer Heritage hat meines Wissens eine Gangreserve von etwa 40 Stunden. Meist beträgt diese ein paar Stunden weniger, als der Hersteller angibt. An die zehn Prozent weniger, wenn die Chronographenfunktion aktiviert ist. Die sichergestellte Uhr ist an einem 25. stehengeblieben. Möglicherweise am 25. Dezember letzten Jahres. Das würde dann genau hinkommen. Meinen Sie nicht?« Sandra beobachtete Siebenbrunners Gesicht. Seine Augenbrauen zuckten kurz. Ihre Uhrenkenntnis überraschte ihn sichtlich, was seine Laune jedoch keineswegs hob. Eher war das Gegenteil der Fall.
»Das herauszufinden ist immer noch unsere Aufgabe«, wies der ranghöhere Akademiker sie forsch zurecht.
Sandra hatte schon in einigen Mordfällen mit Manfred Siebenbrunner zusammengearbeitet. Sympathisch war ihr der Kriminaltechniker noch nie gewesen, aber dermaßen schlecht gelaunt, wie an diesem Tag, hatte sie ihn schon lange nicht mehr erlebt. Dennoch fuhr sie unbeeindruckt fort: »Könnte die Leiche – oder auch der Schwerverletzte – nahe der Fundstelle dieser Uhr ins Wasser verbracht worden sein? Ich meine, hat man an jener Stelle ungehinderten Zugang zum See?«, fragte sie und sah Siebenbrunner direkt in die Augen.
»Hat man«, brummte er und wandte seinen Blick ab.
Na also, warum nicht gleich?, dachte Sandra.
»Sind die Leute vom Fischerwirt schon zu dieser Uhr befragt worden?«, erkundigte sie sich weiter.
Diesmal meldete sich Seitinger zu Wort.
»Alle, die anwesend waren, ja. Aber niemand will diese Uhr zuvor gesehen haben. Weder der Wirt oder seine Familie, noch das Personal. Letzteres ist übrigens auch schon nach Hause gefahren, bis auf die jüngere Schwester des Wirts, die uns bedient. Sie wohnt beim Fischerwirt. Die anderen sollten erst später zum Abendgeschäft wiederkommen.«
»Wenn das mit dem Wetter so weitergeht, wird das heute wohl nichts mehr werden«, meinte Sandra und machte ein Foto von der sichergestellten Uhr, ehe sie diese an Siebenbrunner zurückgab.
»In diesem Fall werden heute auch keine Gäste mehr hereinschneien«, fügte Bergmann an. Dass er Sandra angrinste, schrieb sie seinem wetterbezogenen Wortspiel zu, das niemandem außer ihr aufzufallen schien. Oder war der Chefinspektor gar zufrieden mit ihr, weil sie sich von Manfred Siebenbrunners mieser Laune nicht hatte einschüchtern lassen?
Sandra warf einen Blick aus dem Fenster. Allzu lange würde es nicht mehr dauern, bis die Sonne, die sich hinter den Wolken verbarg, unterging. Außerdem schneite es noch immer. Wenn sie sich nicht sputeten, würde ihnen nichts anderes übrig bleiben, als in den Gästezimmern des Fischerwirts zu übernachten, kam ihr in den Sinn. Sofern der Wirt ihnen die Zimmer außerhalb der Saison überhaupt vermietete.
Die Einladung ihrer Freundin zum Abendessen in Graz würde sie ohnehin nicht mehr
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