Steirerkind
pünktlich schaffen. Zum Glück war Andrea an ihr häufiges Zuspätkommen und die kurzfristigen Absagen, wie sie jobbedingt leider immer wieder vorkamen, gewöhnt. Im Gegensatz zu Julius, der sich in letzter Zeit zunehmend vernachlässigt fühlte, was Sandra ziemlich unter Druck setzte und sie dementsprechend nervte. Weder würde es das erste noch das letzte Mal sein, dass ihr der Beruf einen Strich durchs Privatvergnügen machte. Damit würde sich Julius wohl oder übel abfinden müssen. Oder sein Glück woanders suchen. So schmerzhaft sie die zweite Option auch fände.
»Können wir die Fotos vom Fundort sehen? Beziehungsweise das Video, falls Sie eines gemacht haben?«, holte Bergmann sie in den Berufsalltag zurück.
»Ich hab schon zu Mittag ein Video von der Leichenbergung gemacht«, meldete sich die Gruppeninspektorin in der übereifrigen Manier einer Vorzugsschülerin. Sie hatte sogar ihren Zeigefinger erhoben.
Sandra kam Miriam Seifert, die jüngste Mitarbeiterin in Bergmanns Team in den Sinn. Die eigene Kollegin in Graz war in ihren Augen um einiges sympathischer als die farblose Barbara Grübler, wenngleich sie sicher eine gewissenhafte Ermittlerin war. Das war Miriam mit ihrer lockeren Art aber auch. Zudem war sie ein wahrer Sonnenschein und eine Augenweide, was vor allem dem Chefinspektor gefiel. »Sehr gut«, lobte Sandra die junge Polizistin aus Haus im Ennstal dennoch. Immerhin waren es Einsatzbereitschaft und Ergebnisse, die zählten, nicht persönliche Befindlichkeiten. Hätte das mal jemand Manfred Siebenbrunner klargemacht.
»Wir haben den Film der Kollegin bereits überspielt. Unser Video und die Fotos auch«, meinte einer der Kriminaltechniker, weitaus salopper als Barbara Grübler, und öffnete seinen Laptop. Er drückte auf die Enter-Taste, um danach sein Passwort einzugeben.
»Bitte sehr«, meinte er und drehte das Gerät in Bergmanns Richtung. Sandra rückte näher an den Chefinspektor heran, damit sie die Bilder am Monitor ebenfalls sehen konnte.
Zuerst zeigte die Kamera eine linke Hand und einen blauen Jackenärmel, die nahe beim Ufer unter der Eisdecke festgefroren waren. Ein Schwenk führte weiter über Rücken und Gesäß, die sich unterhalb der dicken Eisschicht im Wasser befanden. Mehr war trotz bester Ausleuchtung durch die Sonne, die zu dieser Zeit noch geschienen hatte, nicht zu erkennen.
Johann Seitinger hatte demnach nicht untertrieben. Den Buben war der grausige Anblick einer Wasserleiche weitestgehend erspart geblieben, wenngleich der im Eis festgefrorene Arm und der schemenhaft sichtbare Körper darunter auch kein kindgerechtes Bild abgab.
Auf Grüblers Video folgte eine Sequenz, in der sich ein Feuerwehrmann daranmachte, den Leichnam mit der Trennscheibe aus der gut zehn Zentimeter dicken Eisdecke zu schneiden.
Bergmann schreckte vor dem kreischenden Lärm zurück und kniff sichtlich gequält die Augen zusammen.
Sandra drehte den Ton leiser, während die folgende Einstellung zeigte, wie die Leiche samt Eisresten entlang der Böschung bis zur nächsten zugänglichen Stelle ans Ufer gezogen wurde. Der Film endete, als sich der Polizeiarzt über die Leiche beugte, die, im Gegensatz zu den üblichen Wasserleichen, erstaunlich gut erhalten war.
Im Video der Tatortgruppe, das Sandra als Nächstes anklickte, waren außer dicken Schneeflocken, die im dunklen Loch in der Eisdecke verschwanden, nur die Polizeimarkierungen der Spurensicherung, das Absperrband rund um den Fundort und – zur besseren Orientierung – die Umgebung zu sehen.
Der Vollständigkeit halber betrachteten sie noch die Fotos der Leiche und des Fundortes, die zur Dokumentation gemacht worden waren. Dann klappte Sandra den Laptop zu.
»Zeigen Sie uns jetzt bitte, wo es zum Fundort geht und zur Leiche?«, wandte sie sich an Johann Seitinger.
»Sicher. Folgen Sie mir«, meinte dieser und erhob sich.
»Uns brauchen Sie dann wohl nicht mehr?«, fragte Siebenbrunner und machte keinerlei Anstalten aufzustehen.
Seine Männer rührten sich ebenso wenig von der Stelle.
Der Fisch beginnt beim Kopf zu stinken, fiel Sandra ein altes Sprichwort ein.
»Bleiben Sie ruhig in der warmen Stube sitzen«, mimte Bergmann den Großmütigen und erhob sich, ebenso die beiden Frauen. Das Gesicht zu Sandra gewandt, verdrehte er die Augen, um ihr zu signalisieren, dass Manfred Siebenbrunner ihn nervte und er keinen Wert mehr auf dessen Gesellschaft legte.
Sandra verkniff sich ein Grinsen. Sie war dem Chefinspektor ehrlich
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