Steirerkind
hier noch eine Weile. Aber danke für das Angebot. Auf alle Fälle beeilen wir uns. Womöglich fängt es heute nochmal zu schneien an.« Sandra blickte in den Abendhimmel.
»Laut Wetterbericht soll heute Nacht noch einiges folgen«, gab ihr der Hüne recht und verabschiedete sich. »Morgen in der Früh soll’s dann aber spätestens aufhören.«
Sandra setzte ihren Weg zum Schuppen fort, wo Bergmann soeben das Siegel am Schloss mit seinem Daumennagel brach.
»Warte, ich sperr dir auf«, sagte sie.
Bergmann wich beiseite.
»Zeit wird’s«, meinte er mürrisch, »ich bin nass bis auf die Knochen.«
Sandra verkniff sich die Bemerkung, dass er selbst schuld sei, und drehte den Schlüssel im Vorhängeschloss um.
Dass ihnen kein beißender Leichengeruch entgegenschlug, überraschte sie zunächst, obgleich sie schon angenommen hatte, dass der Fäulnisprozess noch immer nicht eingesetzt hatte, was den Minusgraden, die drinnen wie draußen herrschten, zuzuschreiben war. Sandra tastete nach dem Lichtschalter. Die Leiche lag auf dem Boden, zugedeckt mit einer Folie. Besonders geräumig war der Schuppen nicht. Sie mussten sich nacheinander an Angeln, Keschern und allerlei anderen Gerätschaften vorbeizwängen, um zum Toten zu gelangen.
Sandra zog die Einweghandschuhe über ihre klammen Finger und schlug die Folie zur Seite. Eine derart gut erhaltene Leiche nach so langer Liegezeit im Wasser hatte sie noch nie gesehen. Vorhin, auf dem Video der Leichenbergung, war der Tote noch vollständig bekleidet gewesen. Jetzt, nachdem der Polizeiarzt ihn äußerlich untersucht hatte, und seine Kleidung von der Tatortgruppe sichergestellt war, lag er nackt vor ihr und sah aus, als wäre er in der Badewanne eingeschlafen, wäre da nicht das Loch in seinem Kopf gewesen.
Die üblichen Haut, Haar- und Nagelablösungen bei älteren Wasserleichen fehlten, dafür war der Körper im unbeheizten Schuppen beinahe gefroren. In einigen Stunden würde er durch und durch tiefgekühlt sein, sodass eine Veränderung durch Fäulnisgase, die sich nach der Bergung aus dem Wasser normalerweise an der Luft umso rascher entwickelten, ausgeschlossen war. Erst wenn die Leiche wieder auftaute, würde ihr Verfall zügig voranschreiten.
Von draußen drangen Motorengeräusche an ihre Ohren. Der Schneeräumwagen setzte seine Tour also fort. Sandra betrachtete die linke Hand des Toten, die noch immer im Eisblock steckte. Knapp oberhalb des Handgelenks war das Eis durchtrennt worden, wohl um den Anorak von der Leiche zu schneiden. Am Handgelenk selbst fanden sich keine Spuren, die darauf hindeuteten, dass der Mann eine Uhr getragen hatte, wie dies manchmal nach UV-Einstrahlung der Fall war. Oft kam es auch vor, dass die Behaarung unterhalb der Uhr deutlich schütterer war, doch hier schien die Behaarung lückenlos zu sein. Auch das rechte Handgelenk wies keine sichtbaren Spuren auf. Genauso wenig konnte Sandra Marken an den Fingern entdecken, wie sie etwa ein Ehering hinterlassen hätte können. Blieb zu hoffen, dass die Gerichtsmedizinerin etwas finden würde, das ihren Ermittlungen weiterhalf.
»Der ist so gut wie tiefgekühlt«, sagte sie und blickte zu Bergmann hoch. »Möchtest du ihn dir auch noch näher ansehen?«
»Nein, danke. Ich kenne ihn schon aus der Bierwerbung.«
Sandra breitet die Folie wieder über die Leiche, ehe sie aufstand. Auch sie erinnerte sich an den TV-Spot, in dem der Cheftrainer mit drei seiner Athleten, darunter Tobias Autischer, für eine steirische Biermarke warb.
»Ich schau ich ihn mir dann bei der Obduktion genauer an«, sagte Bergmann, zum Gehen gewandt.
Wenn der Chefinspektor der Sektion der Leiche beiwohnte, brauchte sie es nicht zu tun, freute sie sich insgeheim, während sie die gebrauchten Einweghandschuhe eintütete und in ihrem Anorak verstaute. Dann folgte sie Bergmann aus dem Schuppen, den sie anschließend wieder versperrte und versiegelte.
Draußen schneite es nun wieder heftig. Zudem war böiger Wind aufgekommen, der die Flocken aufwirbelte und wie wild tanzen ließ. Sandra zog sich die Kapuze über den Kopf und kniff die Augen zusammen. Im Schein der Lichter, die am und rings ums Haus brannten, erkannte sie, dass nur noch ein einziges eingeschneites Auto vor dem Fischerwirt parkte, nämlich ihr VW Passat. Alle anderen mussten aufgebrochen sein, während sie die Leiche inspiziert hatten.
»Verdammtes Scheißwetter!«, wiederholte Bergmann zum x-ten Mal an diesem Tag. Die Hände tief in den Jackentaschen
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