Steirerkind
Ohr. »Er wurde als Baby in der Katholischen Kirche in Schladming ausgesetzt und gefunden. Die Mutter konnte damals nicht ausgeforscht werden. Das Ehepaar Fitzner hat ihn zuerst in Pflege genommen und später adoptiert.«
»Mist«, lautete Bergmanns knapper Kommentar.
»Kann man wohl sagen.« Sandra erhob sich und wandte sich der Magnettafel hinter ihrem Schreibtisch zu. Noch einmal studierte sie die wichtigsten Ermittlungsfakten, die übersichtlich darauf dargestellt waren. Sie griff zum Stift, strich den Namen von Regine Fitzner durch und malte ein Fragezeichen daneben, das nun zu Gregor Fitzner und zu seinem unbekannten blonden Halbbruder führte, deren Namen durch einer Linie miteinander verbunden waren.
»Blonde Männer gibt es in dieser Gegend viele«, sinnierte Miriam frustriert.
»Aber nicht alle sind naturblond wie unser Phantom«, warf Sandra ein. Dennoch: Wonach sie hier suchten, war die berühmte Nadel im Heuhaufen.
»Selbst wenn wir die DNA jemandem zuordnen könnten, hieße das noch immer nicht, dass wir unseren Täter gefunden hätten. Nur weil der Mann die Breitling am Tatort verloren hat«, wiederholte sie die Tatsache, die allen Anwesenden längst klar war, und kehrte an ihren Schreibtisch zurück.
»Die Möglichkeit besteht aber immerhin«, räumte Bergmann erstmalig ein.
Sandra sah ihn entsprechend überrascht an.
Bergmann zuckte mit den Schultern.
»Versuchen wir, unser Phantom zu finden. Was anderes als diese Spur haben wir momentan ja nicht. Unsere Verdächtigen scheiden laut direktem beziehungsweise indirektem DNA-Abgleich alle aus«, fügte er hinzu.
»Außer Irene Wintersberger. Deren Speichelprobe fehlt uns noch. Am besten wir vernehmen sie noch einmal«, schlug Sandra vor. »Ich kann mir zwar noch immer nicht vorstellen, dass sie ihren Mann mitten in der Nacht am Steirischen Bodensee erschossen und anschließend dort entsorgt hat, aber sie könnte zumindest wissen, wer mit Gregor Fitzner mitgefahren ist.«
»Solange es sich nicht um eine seiner geheimen Liebschaften handelt …«, spielte Bergmann auf die Chinesin an. »Okay. Ich ruf jetzt mal die Wintersberger und den Kofler an, um herauszufinden, wer mit Gregor Fitzner unterwegs gewesen sein könnte. Miriam, wir brauchen Zugriff auf die Kundendaten von Fitzners Friseursalon. Kümmer dich bitte darum. Und du, Sandra, ruf die Adoptiveltern vom Fitzner an«, ordnete der Chefinspektor an.
»Geht klar.« Gregor Fitzners Eltern schienen nicht besonders viel über ihren Sprössling zu wissen, rief sich Sandra die Befragung der beiden ins Gedächtnis. Oder aber sie hatten nicht alles preisgegeben, um ihrem Sohn nicht zu schaden. Möglicherweise würden sie jetzt, nach dessen Autounfall, reinen Tisch machen wollen. Falls sie etwas wussten, was ihr Gewissen belastete. Er selbst war momentan nicht in der Lage dazu. Ja, es stand sogar zu befürchten, dass Gregor Fitzner nie wieder mit jemandem würde sprechen können.
Sandra wollte gerade zum Hörer greifen, als eine Nachricht aus der Kriminaltechnikabteilung in ihrem Posteingang einlangte. Aufmerksam betrachtete sie die Fotos im Anhang.
»Sascha!«, rief sie dem Chefinspektor zu, der gerade eine Nummer wählte.
»Was?« Bergmann hielt mit dem Wählen inne.
»Frag Irene Wintersberger, ob sich der Audi ihres Mannes noch in der Garage befindet. Und ob sie uns heute empfangen kann.«
*
Draußen schneite es noch immer. Sandra musste den Dienstwagen auf dem Parkplatz hinterm Gebäude der Landespolizeidirektion, in dem die Abteilung Leib und Leben des LKA untergebracht war, erst vom Schnee befreien. Bergmann saß bereits im Auto und telefonierte mit dem Staatsanwalt.
Sandra kniff die Augen zusammen und blickte in den grauen Himmel. Glaubte man den Meteorologen, würde Tief Marcel in den frühen Morgenstunden des folgenden Tages wieder abziehen. Dahinter bahnte sich das nächste Hochdruckgebiet an, das bis übers Wochenende hinaus für wolkenlosen Himmel, aber frostige Temperaturen sorgen sollte.
Schon jetzt freute sie sich aufs Skifahren mit Julius, auf die Slalomrennen der Damen und Herren und die offizielle Abschlussveranstaltung, die der Ski-WM 2013 ein krönendes Ende setzen würde. Diesmal würde sie es nicht zulassen, dass die Arbeit wieder ihre Pläne durchkreuzte, schwor sie sich und kehrte gedanklich zum Fall zurück.
Die Nachricht, dass der aus der U-Haft entlassene Tobias Autischer nun doch bei der WM würde starten können, hatte sich in Windeseile verbreitet. Die
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