Steirerkind
vergraben, stapfte er mit gesenktem Kopf stur voran in Richtung Fischerwirt, ohne dabei nach links oder rechts zu blicken.
Sandra war über den Schneesturm ebenso wenig begeistert wie er. Immerhin war sie diejenige, die bei diesem Wetter nach Graz zurückfahren musste.
»Wie es aussieht, sind wir hier die Letzten. Wir müssen uns beeilen, wenn wir nicht beim Fischerwirt übernachten wollen«, sagte sie.
Bergmann sah sich kurz um, ohne stehenzubleiben. Beinahe wäre er vor dem Haus ausgerutscht. Leise fluchte er vor sich hin. Hatte er ihr überhaupt zugehört?
Im Vorraum schüttelten sie den Schnee von den Jacken, bevor sie zur Schank weitergingen. Die Wirtin hob den Kopf, um sie willkommen zu heißen.
Sandra stellte sich und den Chefinspektor vor.
Das freundliche Lächeln der Frau wich prompt einem betroffenen Gesichtsausdruck.
»Mein Gott, wie fürchterlich«, meinte sie, »ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Der Roman hat ja früher fast zur Familie gehört …«
Interessante Formulierung, dachte Sandra. Und was war geschehen, dass er nun nicht mehr dazugehörte?
»Dürften wir Ihnen ein paar Fragen stellen?«
»Ja, sicher. Bei dem Wetter verirrt sich heut eh keiner mehr hierher«, meinte die Wirtin.
»Höchstens der Bestatter, um die Leiche für die Gerichtsmedizin abzuholen«, entgegnete Sandra.
Die Wirtin schluckte.
»Falls er es bis hierher schafft. Dem Service- und Küchenpersonal hab ich vorhin grad freigegeben. Bis morgen Vormittag. Nur die Katharina, meine Schwägerin, ist noch zur Bedienung hier.«
Sandra nahm an, dass sie von der jungen, pummeligen Frau mit den rotblonden Haaren sprach, die sie schon am Nachmittag bedient hatte. Anderes Personal war ihr nicht aufgefallen.
»Mein Mann kocht Ihnen was, falls sie bei uns essen möchten«, fügte die Wirtin hinzu.
»Sehr aufmerksam von Ihnen, danke. Aber zum Essen wird uns leider keine Zeit bleiben. Wir wollen heute noch nach Graz zurückfahren«, lehnte Sandra das verlockende Angebot ab. Seit der Kürbiscremesuppe und dem Schwarzbrot zu Mittag hatte sie nichts mehr gegessen.
Der skeptische Blick der Wirtin galt vermutlich Sandras Rückreiseplänen. Bergmann schnäuzte sich lautstark.
»Seit wann ist der See eigentlich zugefroren?«, wollte Sandra wissen.
»Seit ungefähr vier, fünf Wochen«, erinnerte sich die Wirtin.
»Also seit dem Jahreswechsel in etwa«, rechnete Sandra nach. »Und der Wasserfall?«
»Der ist zirka 14 Tage später gefroren.«
»Führen Sie Dienstpläne?«, fragte Sandra weiter.
»Sicher.«
»Könnten Sie mir die Pläne vom 23. Dezember 2012 bis, sagen wir, 8. Jänner 2013 kopieren?«
»Kann ich. Jetzt gleich?«
»Wenn’s geht. Wie sieht es mit Tischreservierungen in diesem Zeitraum aus? Die könnten uns eventuell auch weiterhelfen.«
»Wir haben ein Buch mit Namen und Terminen. Telefonnummern fragen wir allerdings keine ab. Nur die von unseren Stammgästen kann ich Ihnen geben. Aber hocken Sie sich besser zum Kamin, während ich Ihnen die Unterlagen zusammensuche. Da können Sie sich aufwärmen. Sie sehen ja richtig erfroren aus«, meinte die Wirtin, zu Bergmann gewandt.
»Ich seh nicht nur so aus, ich fühl mich auch so«, murmelte der Chefinspektor vorwurfsvoll, als ob jemand anders als er daran schuld war, dass er das falsche Schuhwerk trug.
Er sah wirklich erbärmlich aus, stellte Sandra fest, während sie ihre Jacken neuerlich an die Garderobe hängten. Seine Nase war rotgefroren, seine Augen tränten. Hoffentlich hatte er sich keinen Schnupfen eingefangen. Auch ohne Verkühlung war der Mann schon schwer genießbar.
»Wollen Sie was trinken? Einen heißen Tee vielleicht?«, fragte die Wirtin.
»Gerne«, sagte Sandra und setzte sich an den Tisch, der am nächsten zum Kamin stand. »Mit Zitrone, bitte.«
»Für mich einen doppelten Espresso.« Bergmann nahm ebenfalls Platz. Die Wirtin reichte ihnen für alle Fälle die Speisekarten und gab die Getränkebestellung an ihre Schwägerin hinter der Schank weiter. Danach verschwand sie aus der Stube.
Bergmann vertiefte sich in die Speisekarte.
»Sascha?«, sprach Sandra ihn an.
»Hm?«, meinte er, ohne von der Karte aufzublicken.
»Du solltest deine nassen Schuhe ausziehen. Und etwas Heißes bestellen. Nicht, dass du noch krank wirst.«
»Kaffee wird doch heiß serviert, oder nicht?«
Sandra zog ihre Mundwinkel gekünstelt nach oben.
»Du befürchtest doch nur, womöglich ohne mich weiter ermitteln zu müssen«, setzte Bergmann nach.
»Ich hab
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