Stelzvogel und Salzleiche
vorstellen wie ein Haus mit Dach, das auf zwei Pfeilern ruht.
Da gibt es einmal, Säule eins, die Betriebsgesellschaft, die das Budgetrecht hat, mit anderen Worten über Investitionen entscheidet; in dieser Betriebsgesellschaft sind neben anderen Interessengruppen vor allem örtliche Zeitungsverlage vertreten, die wiederum im Verhältnis zu ihrer Auflage im Sendegebiet Anteile am Radio besitzen. Das ist, wie gesagt, Säule eins. Auf der anderen Seite, Säule zwei, steht die so genannte Veranstaltergemeinschaft, das ist ein eingetragener, nicht kommerzieller Verein, in dem alle maßgeblichen gesellschaftlichen Gruppierungen vertreten sind:
Parteigenossen, Kirchenleute, Sportfunktionäre, Tierschützer und so weiter. Ein Personenkreis also, der zwar vom Mediengeschäft sehr wenig versteht, ungeachtet dieser Tatsache aber über die Programmhoheit des Senders verfügt und Arbeitgeber der Redakteure und Mitarbeiter ist.« Becker sah mich erwartungsvoll an. »Alles klar?«
Ich krauste die Nase. »Mir ist nur eines klar: Die einen wollen Auflage, sprich Quote, also Geld machen, die anderen ihren Einfluss mehren.«
»Erfasst. Proporz und Kontrolle sind alles, Grabenkämpfe programmiert. Oder anders ausgedrückt: Der Chef einer parteinahen Gesellschaft ist Vorsitzender der
Veranstaltergemeinschaft und drückt als Chefredakteur einen alten Kumpel durch, irgendeine Arschgeige, die stramm auf Parteilinie ist, beim Schützenfest kleine Kinder herzt, nur seine Olle vögelt, auf Paragrafen achtet und auch sonst
stinklangweilig, also korrekt ist, aber von Tuten und Blasen keine Ahnung hat. Dieser trüben Tasse steht als
zweitwichtigste Person im Sender womöglich ein Mann der Betriebsgesellschaft gegenüber, der Kellnerinnen vögelt und Hasch raucht, der aber genau weiß, wie man einen knackigen Beitrag baut, den passenden Jingle auswählt und den Trailer zur Prime Time einsetzt, ein Typ, der zudem gut reden kann, die Hörer begeistert und so die Werbekasse füllt. Klar, dass sich die beiden über kurz oder lang in die Wolle kriegen; der eine wird sagen, he, du Möchtegernkünstler, entweder ziehst du mit unseren Parteifreunden an einem Strang oder du kannst die Kinderstunde moderieren; und der andere wird giften, wenn dir mein Anspruch zu hoch ist, du Schlaftablette, dann kümmre dich doch um die telefonische Seelsorge
abgeschmierter Bezirksleiter.«
»Hoppla, Sie sind zur Hochform aufgelaufen. Warum lese ich solche Berichte nicht in Ihrem Blatt?«
»Weil wir eine ausgewogene Zeitung sind.«
»Und weil dieses ausgewogene, überparteiliche, unabhängige Blatt stark beim privaten Rundfunk engagiert ist.«
»Das haben Sie gesagt.«
Becker stand auf, Cetin folgte ihm. Beide hatten einen recht beschwingten Gang, das Bier zum Curry hatte seine Wirkung getan. Durch die offene Wohnungstür vernahm ich noch: »He, Mann, sag mal, wer vögelt wen?«
»Jeder jeden. Aber das ist nicht die Frage.«
»Sondern?«
»Wer den Spaß dabei hat.«
Manche Fragen wurden bereits auf der Treppe geklärt. Sie lachten; ich glaube, es war keine schlechte Idee gewesen, die beiden zu einem gemeinsamen Essen einzuladen.
Nachdem die Haustür ins Schloss gefallen war, begann ich mit dem Aufräumen und spülte die Teller.
Danach rief ich Kurt Heisterkamp an.
53.
»Ich denke, als Begründung für einen Anfangsverdacht müsste es reichen. Du kannst das Material ja als Ergebnis eigener Überlegungen und Recherchen ausgeben.«
Ich reichte Kurt die Tüte mit den Texten und einigen Fotos, die ich in den letzten Tagen geschossen hatte. Wir saßen im Museumscafé an demselben Tisch, an dem ich mich zum ersten Mal mit Irene Gorgas getroffen hatte.
Kurt schob die Fotos, aufgefächert wie ein Kartenspiel, neben das Schachbrett mit den Steckfiguren; ganz oben lag eine Aufnahme, die van Eickens Volvo und Irenes Opel zeigte. Auf dem Foto darunter war Irene vor van Eickens Haus zu sehen.
»Wer ist das?«, wollte Kurt wissen und deutete auf ein drittes Foto. Sein Gesicht sagte, dass er mehr aus Höflichkeit als aus Interesse fragte.
»Das ist Arno Schopinski. Auf diesem Bild mit Harry Keller im Gasometer, auf dem anderen in seinem Laden, wohl das letzte Foto, das ihn lebend zeigt. Hier auf der Rückseite steht die Uhrzeit der Aufnahme. Kurz danach erhielt er einen Anruf und fuhr los in Richtung Duisburg. Überprüf seine Gespräche zu dem Zeitpunkt und du wirst feststellen, dass der Anruf von Irene Gorgas kam – von seiner
Weitere Kostenlose Bücher