Stelzvogel und Salzleiche
Galerieboot? Haben Sie in die Richtung mal recherchiert?«
»Ja, lange, zu lange sogar. Ein Versicherungsbetrug, sonst nichts. Ein Obdachloser ist dabei umgekommen, aber mit Peter Rugens Tod hatte das nichts zu tun. Und doch waren die Recherchen nicht erfolglos, denn dadurch bin ich auf das wahre Motiv gestoßen. Sie wissen, dass ich Recht habe, Herr Mehringer, den Rest müssen Sie mit Ihrer Frau ausmachen.«
»Alles nur Vermutungen!«, brüllte er. »Sie hergelaufener Schnüffler wollen nur meine Ehe zerstören!«
Ich dachte schon, dass er sich gleich auf mich stürzt. Doch dann sackte er zurück in seinen Sessel.
Das mit der Vermutung stimmte sogar, zum Teil wenigstens.
Und was die Ehe anging, ich glaube, da war nicht mehr viel zu zerstören. Blieb der Vorwurf, ein Schnüffler zu sein, klar, Piloten, Ärzte und Wissenschaftler genießen ein höheres Ansehen, doch an diese Tatsache hatte ich mich längst gewöhnt.
Ich erhob mich. Als ich mich an der Tür umblickte, sah ich eine schlappe, zusammengesunkene Gestalt, reif für das Seniorenheim, das demnächst am Ort der Tat, auf dem Boden des ehemaligen Salzabfüllwerks, gebaut werden sollte. Stadtrat Mehringer hatte das Vorhaben, das den Leichenfund bewirkte, nicht verhindern können.
Seine Frau begleitete mich bis zum Wagen. Wir verabredeten uns für den kommenden Vormittag.
56.
Soest hat sieben Kirchen, wie ich aus meiner Schulzeit wusste: der Dom St. Patrokli, die Wiesenkirche, St. Petri, der Schiefe Turm… alle kriegte ich nicht mehr zusammen. Eine der Kirchen schlug die volle Stunde, andere folgten. Ich blickte in die Höhe, schnüffelte, Schnee lag in der Luft und der Geruch nach frischem Gebäck zog mir in die Nase, ein
unwiderstehlicher Duft.
Als ich mit der Bäckertüte in der Hand das Lokal Im Wilden Mann betrat, war es kurz nach zehn und Anne Mehringer wartete bereits auf mich. Sie wirkte gelöst, sah ausgesprochen gut aus.
»Nachdem Ihre Arbeit zunächst recht schleppend anlief, ging alles auf einmal schneller zu Ende, als ich dachte, Herr Mogge.
Und dann diese Überraschung!«
»Ich glaube, wir können mit dem Versteckspiel aufhören, Frau Mehringer. Sie wussten es doch schon vorher. Seit langem glaubten Sie, dass Peter Rugen tot ist und dass Ihr Mann etwas mit dem Verschwinden Ihres Geliebten zu tun hatte.«
»Sagen wir, ich habe es geahnt. All die Jahre, nie kam ein Lebenszeichen von Peter, kein Brief, kein Anruf, er wusste doch von meiner Schwangerschaft, ich ging davon aus, dass ihm etwas zugestoßen war; und als dann seine Leiche gefunden wurde, hier in der Nähe gefunden wurde, da wollte ich Gewissheit.«
»Aber…«
»Ich weiß, was Ihnen durch den Kopf geht: Warum hat sie nicht einfach ihren Mann gefragt? Nun, daran gedacht habe ich, aber immer wieder gezögert, bis es dann irgendwann zu spät war. Außerdem, warum sollte mein Mann mir plötzlich eine andere Erklärung bieten? Nein, nein, die wahren Umstände über Peters Verschwinden konnte ich nur auf diese Weise „erfahren.«
»Und nun?«
»Mein Mann hat mir die Scheidung angeboten. Er will mir das Haus und das sonstige Vermögen überlassen. Aber ich bin mir nicht sicher, ach, alles ist so lange her, Carlos ist für Laura der beste Vater der Welt, und da ich jetzt weiß, was geschehen ist, ein Streit mit Todesfolge…« Sie sah mir in die Augen.
»Wird die Polizei es herausfinden?«
»Kommt darauf an, ob es jemanden gibt, der die
Gesetzeshüter auf die richtige Spur bringt.«
»Sie, Herr Mogge?«
»Ich? Nö! Meine Aufgabe ist erledigt. Fünf Tage zu vierhundert macht zweitausend Mäuse plus Erfolgshonorar.«
Ich sprach bewusst im Tonfall des abgebrühten Typen. »War Ihnen die Sache das Geld wert?«
Sie nickte heftig. »Wenn Besucher mich bei meinen
Stadtführungen auf die Soester Salzleiche ansprechen, werde ich erzählen können, wie die Tat passiert ist.« Sie atmete tief durch, seufzte. »Das heißt, mit einer kleinen Änderung: Ich werde sagen, dass der Liebhaber das Angebot des Ehemannes abgelehnt hat – und dass es deshalb zum Streit gekommen ist.«
»Auch nicht schlecht, die romantische Version, passend zur Stadt.«
Sie strich sich das Haar hinters Ohr, lächelte. »Wann reisen Sie ab?«
»Na ja, die Kirmes.«
»Das heißt?«
»Noch einmal Riesenrad fahren, wie in meiner Kindheit, und Soest aus luftiger Höhe sehen, dann aber rasch zurück in den Ruhrpott. Diese Idylle – enge Gassen, stille Plätze –, einen Hauch von Mittelalter umgibt hier ja
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