Stelzvogel und Salzleiche
gut aus und entsprach genau Harry Kellers Beschreibung. Sein Blick war offen, sein Lachen breit und gewinnend.
»Sie sind also Elmar Mogge.«
Auch Anne Mehringer begrüßte mich und verschwand in der Küche. Dafür kam mir ein knapp zehnjähriges Mädchen mit blondem Pferdeschwanz entgegen. Ihre porzellanblauen Augen leuchteten, als sie mir die rechte Hand reichte, in der linken hielt sie ein Glas mit blauer Limonade. »Ein Zaubertrank«, sagte sie, »willst du auch etwas?«
»Sehr gerne!«
Anne kam zurück, ihre Bewegungen wirkten eckig, ihre Stimme angespannt. »Ich muss zwischendurch mal nach dem Essen sehen. Geht doch schon mal rüber«, ermunterte sie uns mit Blick auf den angrenzenden Raum.
»Laura ist so zutraulich«, bemerkte Carlos, als das Mädchen an der Hand ihrer Mutter das Wohnzimmer verlassen hatte.
»Ihre Tochter und ich, Herr Mehringer, wir kennen uns ja schon vom Telefon.«
»Ja, meine Frau hat es erwähnt. Setzen Sie sich doch.« Er wies auf einen bequemen Sessel. Die Einrichtung war eine geschmackvolle Mischung aus Antiquitäten und einigen modernen Stücken. »Wein, Bier? Ich selbst nehme als Aperitif einen trockenen Manzanilla.«
»Danke, zuerst möchte ich den Zaubertrank Ihrer Tochter probieren.«
»Nun, Herr Mogge, wir haben ja auch schon mal ein paar Worte am Telefon gewechselt«, eröffnete Carlos das Gespräch, das er dann ohne große Umwege auf den Tod von Peter Rugen lenkte. Er hob sein Glas mit dem Manzanillawein. »Prost!
Höchst ungewöhnliche Umstände. Ich meine, sein
Verschwinden, aber auch sein Wiederauftauchen. Meine Frau, als seine ehemalige Lehrerin, hat natürlich ganz andere Empfindungen, ich finde den Fall einfach nur spannend.«
Unsere Unterhaltung plätscherte so dahin. Einmal wurde sie unterbrochen, weil die Klingel ging, worauf Laura den Kopf zur Tür hereinsteckte, den Arm hob und »Tschüss« rief. Wenig später betrat Anne den Raum. Das schwarze Wollkleid, das ich schon von unserer ersten Begegnung kannte, stand ihr ausgezeichnet. Sie bat uns ins Esszimmer.
Von da an veränderte sich der Ton, in dem wir, Carlos und ich, uns unterhielten, eine gewisse Spannung kam auf; was aber nichts bedeuten musste, weil Männer immer etwas anders miteinander sprechen, wenn Frauen in der Nähe sind.
Der Tisch war für drei Personen gedeckt. Anne glaubte das erklären zu müssen: »Laura, unser Töchterchen, darf heute bei einer Freundin übernachten.«
Carlos sah von seinem Teller mit der Kürbissuppe hoch.
Nach einem kurzen Blickwechsel mit seiner Frau fragte er:
»Wie weit sind Sie denn gekommen, Herr Mogge?«
»Schon ziemlich weit«, wich ich aus. Denn eigentlich bin ich der Meinung, dass sich die Unterhaltung bei einem
gemeinsamen Mahl im Wesentlichen darauf beschränken sollte, das Essen und die Köchin zu loben. Das tat ich dann auch. Nach der Vorsuppe gab es, passend zur Jahreszeit, Gänseragout mit Äpfeln – und es schmeckte ausgezeichnet.
Aber beim Nachtisch, einer Süßspeise aus Pumpernickel, Himbeeren und Schlagsahne, lag das Thema sozusagen in der Luft. »Hm, wirklich gut!« Ich schob mein Schälchen zurück.
»Mein kleiner Beitrag«, sagte Carlos Mehringer. »Ist in Windeseile zubereitet. Meine Frau steht Stunden am Herd und ich bekomme den größten Beifall. Verschleiertes Bauernmädchen heißt das Dessert. Apropos: Wollen Sie, Herr Mogge, nun nicht doch den Schleier lüften, was Ihre Arbeit angeht?«
Ich sah Anne Mehringer fragend an, und nachdem sie mir aufmunternd zugenickt hatte, begann ich, von meinen Ermittlungen zu berichten.
»Die Geschichte fängt damit an, dass Peter Rugen eine Affäre mit einer älteren Frau hatte. Kein so seltener Fall, und dass so eine Geliebte verheiratet ist, nun, das liegt dann fast auf der Hand. Ungewöhnlicher ist schon, dass diese Frau seine ehemalige Lehrerin war, so etwas führt in einer Stadt, wo man den Nachbarn noch kennt, zu Gerüchten. Die beiden trafen sich regelmäßig, was dadurch erleichtert wurde, dass der Ehegatte, ein erfolgreicher Geschäftsmann, viel unterwegs war. Dennoch wäre es wohl nur eine der üblichen Affären geblieben, hätte Peter Rugen es sich nicht in den Kopf gesetzt, ein neues Leben beginnen zu wollen, mit ebendieser Frau.
Obwohl die Bedingungen für einen Neubeginn alles andere als günstig waren, war seine Geliebte bereit, mit ihm zu gehen.«
»Ganz schön dumm von der Frau«, warf Carlos Mehringer ein.
»Oder auch nicht. Andere Ehefrauen fahren in die Toskana, buchen eine
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