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Sterblich

Sterblich

Titel: Sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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funktioniert. Er sieht, dass Skagestad seine Gedächtnisdatenbank durchforstet.
    »Das kann alles Mögliche sein. Geräusche, Gerüche, Farben«, redet Henning weiter. Mit Skagestads Gesicht passiert etwas, er sieht wacher aus.
    »Ich erinnere mich tatsächlich an eine Sache«, sagt er und sieht Henning an. Kama Sutra kommt zurück. Skagestad ignoriert den Hund.
    »Etwas, das mir beim Betreten des Zeltes aufgefallen ist, das ich danach aber wieder vergessen habe.«
    »Was?«, fragt Henning.
    »Der Geruch«, sagt Skagestad und versetzt sich zurück. »Es roch muffig, wie typisch für Zelte. Aber da war auch noch etwas anderes.«
    Plötzlich fängt er zu lachen an. Henning kommt nicht ganz mit.
    »Das ist irgendwie peinlich«, sagt er. Henning würde den Mann am liebsten schütteln.
    »Was ist peinlich?«, hakt er nach. Skagestad schüttelt den Kopf, lacht erneut. Dann sieht er Henning an.
    »Es roch im Zelt nach Deodorant.«
    »Nach Deodorant?«
    »Ja.«
    »Nicht nach Parfüm?«
    »Nein, nach einem Herrendeo.«
    »Sind Sie ganz sicher?«
    Er nickt.
    »Wieso sind Sie sich da so sicher?«
    Er lächelt wieder.
    »Das ist ja das Peinliche«, sagt er und redet nicht weiter. Henning denkt, dass der Kerl ohne Weiteres Folterer in Guantanamo sein könnte.
    »Romance«, sagt er. Henning versteht nur Bahnhof. »Von Ralph Lauren«, fährt Skagestad fort.
    »Woher …?«
    »Ich benutze es selbst, verstehen Sie. Das Deo ist ein Geschenk von meinem Enkel. Darum habe ich den Duft wiedererkannt.«
    »War es ein intensiver Duft?«
    »Nein. Sehr schwach. Aber ich habe eine sensible Nase. Und, wie gesagt, ich benutze es manchmal selbst, wenn ich ausgehe und – jemanden treffe.«
    Kama Sutra knurrt. Skagestad wirft den Stock.
    Laufen, sabbern, kauen, laufen.
    »Und ich habe das Gefühl, Frauen mögen den Duft.«
    Der Mann lächelt kurz. Henning hat nicht das geringste Bedürfnis nachzuhaken, was er damit meint.
    Skagestad wird wieder ernst.
    »Armes Mädchen.«
    »Ist Ihnen im Zelt sonst noch etwas aufgefallen?«
    »Finden Sie nicht, dass das reicht?«
    »Doch, doch. Aber alles könnte wichtig sein.«
    »Ja. Nein. Mir fällt sonst nichts mehr ein.«
    Sie stehen eine Weile voreinander, ohne noch etwas zu sagen.
    »Sie schreiben doch nichts darüber in Ihrer Zeitung – wie hieß sie noch gleich?«
    » 123nyheter . Und nein, ich werde nichts darüber in meiner Zeitung schreiben.«
    Skagestad nickt und bedankt sich. Dann setzt er sich in Bewegung. »War nett, mit Ihnen zu plaudern. Jetzt gehe ich nach Hause, trinke einen Kaffee und rauche eine Zigarette«, sagt er.
    Henning hebt die Hand und denkt, dass Thorbjørn Skagestad, peinlich oder nicht, eventuell ein wichtiges Teil zu dem Puzzle beigetragen hat.
    Jarle Høgseth lächelt sicher in seinem Grab.

33
    Er muss noch einige Stunden totschlagen, bevor er Yngve Foldvik aufsuchen kann, weshalb er in die Redaktion fährt, trotz seiner Ankündigung, sich ein paar Tage nicht im Büro blicken zu lassen – aber er hat einfach keine Lust, wieder nach Hause zu gehen. Seltsamerweise hat er dabei das Gefühl, dass der Tag gut begonnen hat.
    Der Chef vom Dienst, der auch in der Nacht zuvor die Stellung gehalten hat, ist wieder auf seinem Posten, als Henning in die Redaktion kommt. Außer ihm ist noch eine junge Frau da, die mit dem Rücken zu ihm steht. Der Chef vom Dienst sieht ihn an und richtet sich auf, sagt aber nichts. Anscheinend hat der Mann mitbekommen, was am letzten Tag geschehen ist, und wundert sich, ihn so kurz danach wieder auf der Arbeit zu sehen.
    Auch Henning wundert sich. Über sich selbst. Es erstaunt ihn, dass er nicht das Bedürfnis hat freizumachen. Andererseits hilft ihm das Gefühl, eine sinnvolle Aufgabe zu haben, auf die er seine Zeit verwenden kann, um nicht an das zu denken, Woran Er Nicht Denken Will.
    Es war schon immer so: War er neugierig auf eine Sache, konnte er sie nicht mehr weglegen.
    Du darfst nicht mit zu viel Energie loslegen, Henning. Geh die ersten Wochen ruhig an.
    Geh die ersten Wochen ruhig an, ja. Ich gehe sie ja ruhig an.
    Er drückt den Knopf der Kaffeemaschine, wartet neunundzwanzig Sekunden, bis der letzte Tropfen gefallen ist, und geht zum Schreibtisch. Dann schaltet er den PC an. Es ist still. Nur das sporadische Klackern einer Tastatur und Fernsehgeräusche drüben beim Chef vom Dienst. Es hört sich nach CNN an. Breaking News .
    Eine Minute später ist er im Internet. Rasch stellt er fest, dass im Laufe der Nacht nicht viel geschehen ist.

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