Stern der Göttin
Sorge, du wirst hier nicht verhungern! Zwar gibt es hier nichts, was du gerne essen dürftest, aber das Brot ist brauchbar und das Fleisch – nun ja, ich esse so etwas zwar nicht, aber du wirst es vielleicht mögen. Allerdings ist es nicht roh, sondern wurde gekocht.«
Laisa setzte sich mit Hilfe der Fremden so weit auf, dass sie sich umschauen konnte, und betrachtete verblüfft ihre neue Umgebung. Sie war nicht mehr gefesselt und befand sich in einem kleinen, aber sauberen Raum, dessen Decke, Boden und Wände aus grünlichem, matt schimmerndem Kristall bestanden. Sie konnte keine Tür erkennen, dafür aber ein Wasserbecken, das mehr als ein Drittel der Kammer einnahm. Darin saß die Frau, die ihr geholfen hatte.
Die Fremde war das eigenartigste Geschöpf, das Laisa je gesehen hatte. Feines, weißes Haar floss ihr wie Wasser über den Rücken. Ihr Oberkörper war nackt, und so konnte man sehen, dass er genau wie die Arme mit winzigen, weiß glänzenden Schuppen bedeckt war. Sogar die kleinen Brüste waren damit überzogen. Ihr Unterleib lag im Wasser, doch als die Fremde sich bewegte, kam eine Art Fischschwanz mit einer großen Flosse zum Vorschein.
Von solchen Wesen hatte Laisa noch nie etwas gehört. Aber in den letzten Tagen hatte sie schon so viel Neues erlebt, dass sie auch diese Begegnung gleichmütig hinnahm.
»Ich bin Laisa«, stellte sie sich höflich vor.
»Ich heiße Naika und bin eine Nixe«, antwortete die Frau im Wasser. Dann senkte sie traurig den Kopf. »Derzeit bin ich eine gefangene Nixe, aber ich habe nie die Hoffnung aufgegeben, in meine Heimat zurückkehren zu können.«
»Haben die Flussmäuler dich ebenfalls gefangen genommen?«
Naika schüttelte den Kopf. »Nein! Ich wollte ein wenig von der Welt sehen und bin daher einen der Flüsse, die in unseren See münden, hochgeschwommen, bis er zum Bach wurde. Dann wollte ich über eine kleine Wasserscheide kriechen, um einem Bach auf der anderen Seite in ein neues Flusssystem zu folgen. Dabei haben Bauern mich entdeckt und einfach mitgenommen. Sie haben mich in ihren Fischteich gesteckt, weil sie glaubten, mit einer Nixe würden ihnen die Fische nie ausgehen.
Irgendwann sind dann Fremde gekommen und haben den Bauern ein paar Münzen in die Hand gedrückt. Von denen bin ich in einem hölzernen Bottich von Jahrmarkt zu Jahrmarkt geschleppt worden, wo sie mich neugierigen Leuten für Geld gezeigt haben. Nicht lange, da bin ich sehr krank geworden, und als die Männer dachten, ich würde bald sterben, haben sie mich an einen Magier verkauft, der zufällig des Weges kam. In dessen Besitz befinde ich mich immer noch. Er ist kein sehr angenehmer Mensch, muss ich sagen, aber wenigstens ist dieses Bassin hier besser als ein kleiner Holzbottich, und manchmal versetzt er Leute zu mir, mit denen ich mich ein wenig unterhalten kann.«
Naika lächelte so zauberhaft, dass Laisa sich am liebsten von ihr hätte kraulen lassen. Das Schicksal der Nixe bewegte sie stark, gleichzeitig war ihr aber auch bewusst, dass Naika, die anscheinend schon länger in dieser Kristallhöhle lebte, sie mit Informationen versorgen konnte. Doch bevor sie etwas sagen konnte, regte Ysobel sich, und kurz darauf begann Rongi, leise zu wimmern.
»Ich weiß, dass dein Kopf voller Fragen steckt, doch dafür haben wir später noch Zeit. Jetzt sollten wir uns um deine Freunde kümmern.« Naika bat Laisa, ihr Ysobel zu reichen und sich selbst um den kleinen Kater zu kümmern.
»Wasser kannst du aus meinem Bottich schöpfen. Es ist gewiss nicht schmutzig«, sagte sie und benetzte Ysobels Lippen mit dem kühlen Nass.
Da Laisa selbst noch immer den Nachgeschmack des Betäubungsstaubs auf ihrer Zunge zu schmecken glaubte, bildete sie mit den Händen eine Schüssel und füllte diese mit dem Wasser aus dem Bassin. Es schmeckte wirklich köstlich, und sie verstand, weshalb die Bauern so erpicht darauf gewesen waren, die Nixe zu behalten. Gleichzeitig ärgerte sie sich über dieses Verhalten, denn kein Wesen durfte ein anderes jemals gefangen halten. Daher war sie entschlossener denn je, dieser misslichen Lage irgendwie zu entrinnen.
Während sie den langsam erwachenden Rongi versorgte, überlegte sie, was sie tun konnte, um sich zu befreien. Aber bevor sie sinnvoll planen konnte, musste sie mehr über ihr Gefängnis und über die Leute erfahren, die es überwachten.
☀ ☀ ☀
Tavuk und sein Stellvertreter waren an einen reich gedeckten Tisch geführt worden und musterten ihren
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