Stern der Ungeborenen
ungeheuren Fontaine Lumineuse. Hoch sprangen die mattkolorierten Geisterlinien, vereinigten sich miteinander, bildeten Rundbögen und Spitzbögen, und wir sahen es, wie sie weit über das Land zu versprühen schienen. (Ich nahm an, daß im selben Augenblick in die unzähligen Hausinseln der Panopolis durch die Dachgärten den Bewohnern alles Nötige in Schränke und Krüge sickerte.) Hie und da fuhr der Vollbärtige schnell mit der Hand durch einen Strahl und leckte daraufhin aufmerksam seine Finger ab. Vermutlich kostete er dann von einem der Süppchen, die für die Menschen zubereitet wurden, für die bessern sogar nach privaten Kochrezepten; oder er zog wie ein Prestidigitateur aus einem andern Strahl ein batistartiges Gewebe, und er prüfte es zwischen seinen Fingern, wie ein guter Werkmeister die Rohware prüft, ehe er’s zur Seite warf. Ja, sein Name war zutreffend. Er war der Arbeiter durch und durch. Zuletzt, als alle Quellschalen in Betrieb zu sein und zusammenzuwirken schienen, grunzte er vor Befriedigung, setzte sich ins Gras und zog mich zu sich nieder. Ich konnte meine Augen von dem unsagbar herrlichen Schauspiel der arbeitenden Sternstrahlen mitten im Tageslicht nicht abwenden. Er aber holte aus seiner Schürzentasche ein altmodisches Frühstückspaket hervor. Raschelnd öffnete er’s, und ich sah zu meinem Erstaunen, daß es ein großes Stück Ziegenkäse enthielt. Der Arbeiter nährte sich demnach von den unteren und nicht von den oberen Kräften, wie seine Kundschaft. Das gab mir zu denken. Er, der mit den Sternenstrahlen intimer umging als jeder andere, war tiefer im Planeten verwurzelt als seine mentalen Mitmenschen. Jetzt brach er den Capricornettenkäse mitten durch und reichte mir eine tüchtige Hälfte. Ich biß mit Wonne hinein und begann leidenschaftlich zu schmausen, denn auch ich, der ich ja noch ein unterer Mensch war, hatte die feste Nahrung von unten schon allzulange entbehrt. Als wir eine Weile schweigend gekaut hatten, schlug der Arbeiter lässig aufs Gras. Allsogleich sprangen zwei dünne Wasserstrahlen hoch. Ich mußte nur den offenen Mund hinhalten, um das köstlichste eisige Bergwasser zu trinken, das ich seit den Bergwanderungen meiner Jugend genossen hatte. Ziegenkäse und Quellwasser, das war der erste von den drei bedeutsamen Imbissen, mit denen ich am heutigen Vormittage bewirtet werden sollte.
Es soll nicht der falsche Anschein erweckt werden, als würde der Mensch, dieser hochstaplerischste aller Mikroorganismen, sich zur Zeit einzig und allein von den himmlischen Strahlen nähren und bekleiden lassen. Den nach Raum- und Zeitmaß sinnlich unfaßbaren Weltraum als Kolonie des winzigen Sonnenvasallen Erde anzusehen, das hieße in die gegensätzliche Absurdität verfallen und die delikate geozentrische Doktrin vom »unendlich verschiebbaren Mittelpunkt aller erdenklichen Umläufe« lügnerisch zu simplifizieren. Die Erde war noch immer der hauptsächlichste Ursprung aller Rohstoffe, von denen der Mensch lebte. Die himmlischen Kräfte ersetzten nur, was die Werkzeuge und Maschinen der primitiven Erdalter geleistet hatten, indem sie den menschlichen Körper und die menschliche Zeit völlig vom Kraftverbrauch und Energieverlust durch Arbeit befreiten. Die tiefe malachitgrüne Mulde, in der ich jetzt neben dem Arbeiter lag, den schmackhaften Capricornettenkäse verzehrend, war gewiß nicht das einzige Tal der Quellen und Kräfte auf Erden. Es mußte deren eine große Anzahl geben, und zwar auch solche, die nicht nur die Quellen von oben herableiteten, sondern auch die Kräfte von unten einfingen, in weisen Vorrichtungen. Gleichviel, ich machte mir wenig Gedanken über all das. Das unbeschreiblich existentielle Behagen, das dieser Ort dem menschlichen Körper und dem menschlichen Bewußtsein mitteilte, war viel zu umfassend, um die Mühe irgendeiner Denktätigkeit zu dulden. (Der Strom der Gedanken nämlich wird, wie alles Fließen, stets von einer Diskrepanz verursacht, einem gestörten Gleichgewicht, einem unebenen Gefälle des Seins. Denken ist der Krankheitsprozeß, der einen dekompensierten Zustand wieder in den kompensierten Zustand zurückführen will, welchen wir irrtümlich Gesundheit nennen, obwohl die letztere nichts anderes ist als die keuchende Bewegungslosigkeit zweier ineinander verschlungener Ringer, deren Kräfte sich in erstarrter Balance festhalten.) Ich dachte also nicht an Denken, ich überließ mich dem paradiesischen Wiegenlied der Quellen und Kräfte
Weitere Kostenlose Bücher