Stern der Ungeborenen
Sonnengeflechts« laut vor sich hin sang, wagte ich’s nicht. Ich konnte aber immerhin als gesichertes Forschungsergebnis verzeichnen, daß die fernste Zukunft gewisse Berufungen und Berufe nicht nur an Kasten, sondern an eigene Clans und Stämme mit bestimmten hochgezüchteten organischen, ja fast magischen Merkmalen band. Auch schien den Frauen des Arbeiters trotz der Verseltenung und Verlängerung der Schwangerschaft eine beständige Fruchtbarkeit zuteilgeworden zu sein, die sie von der übrigen Menschheit ausnahm, ohne sie herabzusetzen. In dem Kinderreichtum hatte sich übrigens ebenfalls ein proletarisches und bäurisches Element der Frühzeit erhalten. Im Arbeiter stießen Elemente der Urtümlichkeit mit Elementen einer sonnenhaften Höherentwicklung aufs natürlichste zusammen.
So erstaunlich war das Weltbehagen, das durch die körperliche Berührung dieses Riesen meine Adern durchwallte, daß ich einen kleinen Schmerzensschrei ausstieß, als er sich von mir löste, um eine neue Gatterpforte zu öffnen, über welcher die wurmstichige Holztafel vermeldete: »Tal der Kräfte und der Quellen.« Wir betraten eine weite Mulde, deren hoher, blumendurchwirkter Graswuchs beinahe malachitgrün war. Diese Mulde ging freilich, ganz anders als die Waagschale des Geodroms, ziemlich in die Tiefe, und ich vermute, daß die Malachitfarbe des Grases nicht allein von der exaltierten Fruchtbarkeit herrührte, sondern dem merkwürdigen Tageslicht hier unten entsprach. Je tiefer wir nämlich in die Mulde gelangten, um so blasser und schattiger wurde der Himmel, bis sich trotz des hohen Sonnenstandes der weiße Hauch des Viertelmondes samt einigen Sternen entschleierte. Wenn man den ewig brennenden, trockenen Himmel des Zeitalters in Betracht zieht, war dieses Tal der Kräfte und Quellen der angenehmste Aufenthalt im Freien, welchen die mentale Natur zu bieten schien.
»Und hier haben wir schon die erste Quelle«, hörte ich mich mit einer mir selbst völlig unbekannten knabenhaften Stimme ausrufen, und es würde mich gar nicht gewundert haben, wenn ich anstatt meines alten Fracks einen meiner noch weit älteren Matrosenschulanzüge am Leibe getragen hätte und kurze Hosen und Socken dazu. Es war auch in meinen Beinen ein stetiger Wunsch zu hüpfen, dem ich dann und wann nachgab, ohne an meine Würde zu denken. Was nicht nur ich, sondern jeder meinesgleichen für eine Quelle, ja für einen Heilsprudel in einem Badeort gehalten hätte, war nichts als eine schöne, große Alabasterschale auf einer schmalen glasartigen Säule über einem steinernen Postament, die mir bis zur Brusthöhe reichte. Ich trat eiligst hinzu, um die Schale näher zu betrachten, wunderte mich aber sehr, daß sie innen ganz glatt war und weder einen Einfluß für das Wasser noch einen Ausfluß besaß.
»Bitte, können Sie die Quelle nicht springen lassen, Herr Arbeiter«, hörte ich meine erregte Knabenstimme fragen.
»Junge, du bist mir ganz verschroben«, reimte der Blaugeschürzte frischweg, »von unten kommt’s hier nicht, es kommt von oben.«
Die Vorstellung einer Heilquelle, eines wohlgefaßten Sprudels, wie ich ihn so oft gesehen hatte, war dermaßen stark in mir, daß ich den Riesen gar nicht verstand, sondern mich über die leichte und platte Art des kecken Gereimsels zu ärgern begann. Es war doch die Nachtischpoesie eines dummen Kerls, wenn dieser dumme Kerl auch über die Wunderkräfte und tiefen Naturinstinkte eines heidnischen Halbgottes verfügte.
Inzwischen war der Arbeiter zur Quelle gegangen, hatte mit einer gewissen Feierlichkeit seine Arme entblößt und begann nun über der Schale seine nervichten Tatzen zu reiben, erst behutsam, dann immer kräftiger und schließlich wie ein Chirurg, der sich mit großer Ausführlichkeit die Hände wäscht. Und während er sich so in dem durch die Tiefe der Mulde gedämpften Tageslicht ohne Wasser wusch und wusch, begannen seine gewaltigen Hände plötzlich zu phosphoreszieren und darauf in einem stetigen Geisterlichte aufzuleuchten, und als er sie endlich hochhob, da wich das Geisterlicht nicht von ihnen, sondern verdämmerte als ein schwacher grünlicher Strahl gen Himmel.
»Bitte, ich auch, ich auch«, jauchzte meine Knabenstimme, aber mein unverändert alter Geist verstand: dies ist keine planetare Quelle, sondern eine stellare, die nicht von unten geschöpft, sondern von oben herabgeleitet wird, um den Menschen zu dienen. Der Mensch hatte seine Industrie in den Weltraum verlegt und die
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