Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
ringsumher, das mich einlullte.
    Als ich aber so vor mich hin blinzelte, gewahrte ich plötzlich eine stets anwachsende Schar von jungen Männern, die sich rechts oben auf der Kammlinie der Einsenkung silhouettenhaft gen den hellen Himmel versammelten. Diese jungen Männer schienen großen Staat gemacht zu haben. Ihre goldenen Kopfaufsätze waren festlich höher als die gewöhnlichen. Sonst waren sie nur mit jener verwischten Nacktheit bekleidet, die eine optische Spezialität der Zeit war, und die man wirklich trug wie ein Gewand. Ihre Oberkörper leuchteten bronzefarben und athletisch dort oben in der Sonne.
    »Das sind die Stutzer, die Nichtsnutzer«, grollte der Arbeiter.
    Er hatte sein Mahl beendet, faltete das Papier mit mißbilligendem Rascheln zusammen und steckte es in seine blaue Schürzentasche als ein übertriebenes Zeichen wirtschaftlichen Haushaltertums.
    »Welche Stutzer?« fragte ich verwundert.
    Er aber bleckte seine prachtvollen, etwas gelblichen Zähne:
    »Die Gigerln, die Gecken, ich kann sie nicht schmecken.«
    Als ich ihn aufmerksam anschaute, begann der Arbeiter mit goldenem Löwengebrumm die Worte, Silben und Laute zu verdrehen: »Die Stutzer, die Gecken. Die Stetzer, die gucken. Die Getzer, die stucken. Die Stucker, die getzen …«
    Das goldene Löwengebrumm wurde onomatopoetisch und immer sinnloser, das heißt, vielleicht redete der Arbeiter einen Argot der Monolingua, den ich nicht verstand. Man wird über die Neigung des Werkmannes zum Reimseln, Lautverdrehen und Silbenwenden ebenso verwundert sein, wie ich es war. Ich hatte solches zu alter Zeit eher an Musikern beobachtet als an Maschinisten und Installateuren. Man denke doch an die Briefe Mozarts, die voll von »blödelnden« Lautspielereien sind. Der Geist des Musikers kombiniert und variiert alles, er setzt es zusammen und nimmt’s auseinander, als wären es Noten; das ist die Geistesform der Komposition. Mozarts alberne Wortverdrehungen sind weniger Ausbrüche des Humors als Musikstücke in anderem Material: Thema mit Variationen. Des Arbeiters Sprachwitze hingegen waren, wie wir schon wissen, der Ausdruck eines unermeßlichen Wohlbefindens, das selbst in Zorn und Ärger nicht geringer wurde. Wie sehr der flüchtige Umgang, ja nur die Nähe der Kräfte und Quellen dem Gesundheitsgefühl dienten, das erfuhr mein eigener Körper, der, wie ich ja stets argwöhnen mußte, die blasse Kopie meines eigenen Körpers war. Um wieviel mehr mußte dieser Riesenkerl aus erster Hand hier, dieser Arbeitsmann, in seinem ständig beruflichen Umgang von jenen Kräften und Quellen profitieren.
    Er hatte noch nicht zu Ende gebrummt, als auf der andern Höhenlinie der Mulde, die den Stutzern, Nichtsnutzern, Gigerln und Gecken gegenüberlag, eine rhythmisch hold bewegte Mauer von taubengrauem Gewoge auftauchte. Es war so schön, daß ich auf meine Füße sprang.
    »Dort«, rief ich aus, »ich sehe schlecht. Aber der Teufel soll mich holen, wenn das nicht junge Mädchen sind.«
    »Setz dich, Junge«, befahl der Arbeiter, mühelos reimend wie immer, »heut ist doch heute. Und heut ist der Freitanz der hundert Bräute.«
    Jede weitere Erklärung war überflüssig. Trotz meiner dubiosen Lebensform war ich keineswegs so vernagelt, um nicht sofort zu begreifen, daß die hundert Vorzugsbräute der Stadt, des Landes, der Grafschaft, oder wie immer die Verwaltungseinheit »California« heute betitelt war, sich im »Park des Arbeiters« und im »Tal der Kräfte und Quellen« feierlich einfanden, um am Vortage ihrer ehelichen Verbindung die heilsamen Segnungen und Triebkräfte auf sich herabzulenken, welche die sternblasse Himmelshöhe und der malachitgrüne Planetgrund dieser Mulde verströmte. Mochte es sich aber um eine wirkliche Segnung oder nur um eine sinnbildliche Zeremonie handeln, ich verstand sie genau. Ganz und gar nicht hingegen verstand ich die Anwesenheit der Stutzer, Gigerln und Gecken, die vielleicht nur die Mißgunst des Arbeiters so herabsetzend benannt hatte, und die vermutlich grundanständige Jünglinge waren, wer weiß? Sie strömten indessen die Anhöhen herab und stellten sich nahe vom Arbeiter und mir in einem Halbkreis erwartungsvoll auf. »Was wollen diese Herren«, fragte ich, »und wozu haben sie sich versammelt?«
    »Freitanz und Damenwahl«, knurrte der Arbeiter, und ich fühlte, daß er trotz der sublimen Monogamie des mentalen Zeitalters auf jede Frau, auf jedes junge Mädchen und vorzüglich auf jede Braut eifersüchtig war. Bei

Weitere Kostenlose Bücher