Stern der Ungeborenen
das Festpicknick für die hundert Bräute und hundert Ehrenkavaliere herstellen. Bald steigerte sich auch von allen Seiten das Strahlen-Netz der Fontaines Lumineuses, und ich stand im nachgedunkelten Tag unter einem komplizierten Gewölbe unsäglich zart gefärbter Reifen, die von oben kamen und von unten wieder aufstiegen, um sich im Unermeßlichen zu verlieren. Durch die Macht der Quellen und Kräfte, so schien es mir wenigstens, verlor mein Körper soviel an spezifischem Gewicht wie etwa im Wasser, meine Lungen konnten sich weiter ausdehnen als je, das Blut durchströmte leichter die Adern, und durch die verminderten Dämpfungen und Reibungen der Physis entfaltete sich in mir eine schwerelose geistige Fröhlichkeit, deren Erinnerung mir schon die Tränen in die Augen treibt.
Nun stand die Kurbel des stummen Leierkastens still, das Ballett der Bräute löste sich auf. Hingegen erstarrte die Reihe der Stutzer und Gecken zur Mauer. Es war zweifellos das Zeichen für die Damenwahl. Die Bräute begannen auch in der Tat, die Front der Jünglinge abzuschreiten, hin und zurück. Sie entschieden sich sehr vorsichtig und erst nach reiflicher Prüfung. Ich trat näher, denn es war ein erfreuliches, ja ein prickelndes Schauspiel. So sehr versunken war ich in das reizende Bild, daß ich eine ganze Weile nicht bemerkte, daß eine der taubengrauen, leuchtenden Bräute zurückhaltend neben mir stand. Der vorauseilende Geist des Lesers muß nicht erst darüber aufgeklärt werden, wer diese Braut war:
»Um Himmelswillen, Lala«, rief ich, während mich ein Nervenblitz durchzuckte, »es ist zu viel Ehre, daß Sie mich hier begrüßen …«
Die Zyanenaugen sahen mich ernst und forschend an. Dann neigte Io-La leicht und zeremoniös ihr Haupt, so daß ich den ebenholzschwarzen Helm unterm hochgesteckten Brautschleier bewundern konnte. Ein kaum merklicher süßer Lebensduft, ich kann Lalas Parfum nicht anders betiteln, näherte sich schüchtern meinen Sinnen.
»Ich komme nicht, Sie zu begrüßen, Seigneur«, sagte Io-La, »sondern ich bin hier, um Sie zum Tanz zu wählen.«
Ich glaubte nicht recht verstanden zu haben.
»Wen wählen Sie zum Tanz?«
»Sie, Seigneur«, sagte Lala. »Natürlich nur, wenn es Ihnen angenehm ist.«
»Das ist doch nur ein Scherz, Lala«, erschrak ich bis ins Sonnengeflecht, wo kein Morgenjubel mehr saß. »Sie wissen doch, woher und wer und was ich bin.«
»Warum soll es ein Scherz sein, Seigneur?« fragte sie, und ihre Augen waren echt verwundert bei dieser Frage.
Mir aber klopfte das Herz so stark, daß meine Worte abgerissen von den Lippen kamen:
»Dort, liebe Braut«, sagte ich, »dort stehen zweihundert junge Athleten. Zweihundert männliche Prachtexemplare Ihrer Generation, ob der Arbeiter sie nun Stutzer und Gigerln und Gecken nennt oder nicht. Und morgen, Io-La, beginnt Ihr trautes und treues Eheleben mit Io-Do, der dann nicht mehr Ihr Fiancé sein wird, sondern Ihr Gatte. Es ist Ihr letzter freier Tag, der Ihnen Gelegenheit bietet, zwei ungebundene Stunden bei Tanz und Mahl mit einem schmucken Ehrenkavalier zu genießen, den Sie selbst zum Dienste befohlen haben und der Ihnen nicht durch das Gebot der Sterne und durch lange Erforschung und Prüfung zum dauernden Gespielen beigesellt wird, sondern Sie dürfen ihn frei vergessen und sich frei seiner erinnern. Und Sie, Lala, was tun Sie mit Ihrer letzten Freiheit?«
»Ich wähle Seigneur zu meinem Chevalier d’Honneur«, fiel die Braut mir ins Wort, doch ohne jede Gereiztheit. Dann sah sie mich an: »Die Musik hat begonnen … Ziehen Sie ruhig Ihre Handschuhe an, ich warte …«
Ohne dessen recht bewußt zu sein, hielt ich ein Paar weißer, ziemlich sauberer Glacehandschuhe in der Hand. Ich hatte diese aus der Schwalbenschwanztasche meines Fracks gezogen, wo sie neben dem schon öfters erwähnten strapazierten Taschentuch friedlich die Weltalter überdauert hatten, mitsamt einigem Kleingeld und einer leeren Zündholzschachtel. Ich versuchte mich zu erinnern, ob ich diese Handschuhe schon bei meinem Wiedererwachen auf den Händen gehabt und danach erst abgestreift hatte. Nein, ganz gewiß nicht. Sie waren, ebenso wie das Taschentuch, die Reliquien der Schlamperei, die vergessen hatte, die Taschen meines Fracks zu leeren, ehe man mich einkleidete. Wie ich aber so überlegte, fiel es mir ein, wann ich diese weißen Glacehandschuhe zum letztenmal getragen hatte. Es war bei der kirchlichen Trauung eines befreundeten Paares, das mir die Ehre
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