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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Mochte das Weib auch die urerste Verführerin gewesen sein, für mich war und blieb sie der Probierstein der männlichen Schuld, um des natürlichen Leidens willen, das der Mann ihr verursacht. Hatte ich Lala beleidigt, weil ich sie in Zusammenhang mit dem Einfältigen brachte, der wegen seines ungebildeten Mangels an hypothetischen Konditionalsätzen und seines Kröpfleins wegen ein Paria war? Oder war mein Vergehen noch verzwickter und noch tiefer?
    »Verzeihen Sie mir, Lala«, flehte ich. »Verflucht soll ich sein, weil ich Ihre Nachsicht und Güte mit lauter Dummheiten beantworte …«
    Ich versuchte, meine Glacehand wieder ehrfürchtig um ihre Taille zu legen und den Walzerschritt aufzunehmen.
    »Es ist zu Ende mit dem Freitanz«, entzog sie sich mir mit sehr ernstem Ausdruck, »denn wir sind unterbrochen worden.«
    Was konnte das anderes bedeuten, als daß sie meiner Gesellschaft überdrüssig war?
    »Sie haben sich’s also doch noch überlegt, Lala«, sagte ich mit unecht akzentuierter Bitterkeit. »Leider ist es etwas spät. Sie werden Ihre Wahl unter dem Rest von Stutzern treffen müssen, der übriggeblieben ist.«
    Io-La schüttelte den Kopf und sah starr an mir vorbei, als richte sie den Blick auf irgendwen, der mir noch verborgen war:
    »Nein, ich habe mir nichts überlegt, Seigneur … Und ich werde auch keine Wahl treffen.«
    »So, so«, mißverstand ich, »ich habe also der Prüfung nicht standgehalten, mein Kind.«
    Sie hob ein wenig die Hand, als wolle sie mich am Reden verhindern:
    »Die Prüfung, Seigneur, liegt erst vor Ihnen, der Sie werden standhalten müssen: ob Sie auf der guten oder bösen Seite sind.«
    Wenngleich ich nichts kapierte, fühlte ich doch das Grauen, mit dem diese Worte gesprochen waren:
    »Und wenn ich auf der bösen Seite bin?« fragte ich Lala mit jäh erwachtem Trotz.
    »Dann werden Sie nicht wiederkommen, Seigneur«, sagte sie, schien jedoch über sich selbst zu erschrecken und fügte schnell und leise hinzu: »Sie werden gewiß wiederkommen.«
    »Ich will gar nicht fortgehen«, trotzte ich weiter, »ich will den Freitanz mit Ihnen weitertanzen, Lala. Sie haben mich schließlich zum Chevalier d’Honneur entboten …«
    »Jetzt entbietet Sie aber der Priester zu sich, der Großbischof«, entgegnete Lala mit leiser Stimme, die mir traurig erschien.
    »Es ist mir völlig egal, wer mich zu sich entbietet, ob es der Großbischof ist, der Welthausmeier, der Fremdenführer oder die Polizei, falls es so etwas Ähnliches gibt. Sie scheinen nicht zu realisieren, schöne Braut, in welchem Maße ich frei, unabhängig und souverän bin auf dieser armseligen Welt. Noch niemals war mein Wille so sehr mein Gesetz. Darf ich bitten …?«
    Lala reagierte nicht auf diese Worte, sondern sah noch immer starr an mir vorbei. Da konnte ich nicht länger widerstehen und wandte mich um nach demjenigen, von welchem ich schon einige Zeit lang gespürt hatte, daß er hinter mir stehe. Es war ein kleiner schwarzer Kuttenmann, ein Mönch oder Laienbruder. So tief hielt er den Kopf gesenkt, daß ich sein Gesicht nicht sehen konnte, sondern nur den spiegelglatten Schädel, auf dem mit schwarzer Farbe der Haarkranz um eine Tonsur gemalt war und mitten in dieser Tonsur das verschlungene griechische X und R des Christusnamens.
    »Gedulden Sie sich bitte«, sagte ich zu dem Kuttenmännchen, »denn dieses Leben ist kurz und ich bin zum Freitanz entboten.«
    Der Bote des Großbischofs hob den Kopf nicht aus der demütigen Gesenktheit, womit er anzudeuten schien, daß er nicht die Erlaubnis erhalten habe, sich zu gedulden. Als ich mich unentschlossen nach Lala umsah, hatte die Braut mich schon verlassen …

Elftes Kapitel
    Worin der Priester an mir einen starken Exorzismus vollzieht, der meinen leiblichen und seelischen Status unverändert läßt, was ihm klar beweist, daß ich kein Kakodämon bin oder einen solchen enthalte.
    Es war ein mäßig großer, kahler, kalter, nüchterner Raum, nicht ganz unterirdisch wie die Häuser der Menschen, sondern zur Hälfte die Erdoberfläche überragend, so daß er Tageslicht aus hellgrünen Rundfenstern erhielt. Bei uns würde man sagen: Die Kapelle lag tief unterhalb des Straßenniveaus. Da es aber in der Panopolis keine Straßen gab, sondern nur den graugräsigen Universalrasen, würde ein solcher Ausdruck ohne Sinn bleiben. Daß der kahle Raum eine katholische Kirche war, dafür zeugte inmitten aller Nüchternheit der Hochaltar, der durch die Jahrzehntausende

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