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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Heiligen Geistes! Wenn du dem Dämon angehörst, dem Verdreher von Anfang an, dem Verderber des Menschengeschlechtes, wenn in dir ein Geist steckt vom bösen Geiste, so befehle ich ihm im Namen Jesu Christi unseres Herrn: Hebe dich hinweg, fahr aus, zeuch von hinnen, fleuch von dannen, damit der, in den du dich kleidest, wieder werde, was er nach Gottes Willen war: Discede seductor! Cede, cede Deo! Exi scelerate!«
    Ich versichere dem erstaunten Leser, dem dergleichen, was hier geschieht, das erste Mal unter die Augen kommt, daß es selbst für den aufgeklärtesten und liberalsten Menschen keine Kleinigkeit ist, so mir nichts dir nichts wie ich zum Objekt eines Exorzismus, einer Teufelsaustreibung zu werden. Ich war mir meiner Unschuld so ziemlich bewußt. Doch was bedeutet Unschuld! Und was heißt Bewußtsein? Weiß die Seele so genau, ob sie auf seiten des Guten oder auf seiten des Bösen eingereiht ist? Jedermann, auch der Teufel selbst, hegt und hätschelt in sich das aufrichtige Gefühl, daß genau dort wo er steht, das Gute sich befinde oder zumindest die gerechte Sache, welche für den Bösen ja das einzig begreiflich Gute ist. Das Selbstbewußtsein kann sich ebensowenig für ganz und gar nichtswürdig verwerfen, als der Lebenswille sich ganz und gar negieren kann. Das heißt, der Lebenswille kann sich einzig und allein negieren im Akt der Selbstaufhebung, des Selbstmords. Und ebenso kann das Selbstbewußtsein sich einzig und allein negieren im dauernden Reueakt der büßenden Heiligung, wodurch es aber, was dieses Wort schon verrät, aufhört, der Ausdruck des Bösen zu sein. Im allgemeinen jedoch deckt sich das Selbstbewußtsein im hohen Maße mit dem Selbsterbarmen. Selbsterbarmen hat einen vortrefflich pikanten Geschmack, wie alles, was sauersüß schmeckt. Das Selbsterbarmen freilich war erst eine viel spätere Reaktion in mir. Im Anfang glaubte ich, der Boden werfe sich unter meinen Füßen wie brennender Pappendeckel. Es rann mir kalt den Rücken herab. Das freischweifende Schuld-Innewerden in mir begann zu vibrieren, und die Möglichkeit, daß ich Geist vom bösen Geiste bin, schien von Augenblick zu Augenblick deutlichere Gewißheit zu sein. Ich erwartete, daß ich mitsamt meinem Frack, dem goldenen Orden, der lila Handgelenkschleife und meinem guten alten atmenden Körper zu Boden schrumpfen und mich in einen Haufen ekelhaft rötlich-brauner Würmer verwandeln werde. Ich sah den Pater Exorzisten ebenso gespannt an wie er mich. Die dunkle Frage: Was wird geschehen, konnte nicht einmal er aus seinen disziplinierten Augen bannen. Es geschah nichts. Ich blieb ruhig stehn, zweifellos mit äußerst erschrockenem und verdutztem Gesichtsausdruck. In diesem Augenblick fühlte ich, daß mich vier Tropfen des geweihten Wassers, genau als Endpunkte des Kreuzes, auf Stirn, Wangen und Mund getroffen hatten. Sie waren doppelt dazu bestimmt, sowohl die Standhaftigkeit des Bösen in mir zu schwächen, als auch die Standhaftigkeit des Guten in mir zu stärken. Der Pater Exorzist, der eine Zeitlang die Erfolglosigkeit seines ersten Ansturms gegen den in mir verkörperten Dämon abgewartet hatte, hob von neuem mit der Anrufung des dreieinigen Gottes an, worauf er ins Detail der Beschwörung ging, und zwar genau wie folgt:
    »Wenn du bist aus der Jüngerschaft des Simon Magus, wenn du dich zählst zu Basilides, der da verkündet die Herrschaft Archons, des ersten Engels im untersten Geisterreich, wenn du dem Valentinus hörig bist, welcher predigt, diese Welt sei bloß abbildlich und nicht wirklich, weil vom Demiurgen erschaffen, wenn du dem Marcion Beifall zollst, nach dem der Schöpfer nur Gerechtigkeit kennt, nicht aber Liebe, wenn du es mit den Ophiten treibst, welche den Sohn Ialdabaots und der Sophia in der Hausschlange verehren, die sich um die heilige Hostie ringelt und ihr Gift auf den eucharistischen Herrn träufelt, wenn du mit den entfesselten Horden gezogen bist und weiterziehst, der Kainiten, Sethiten, Adamiten und der Manichäer, die da an zwei Götter glauben, einen ormuzdisch hellen und einen ahrimanisch dunklen, und wenn du ihren verfluchten Nachfolgern zujubelst, den Priscillianern, den Paulicianern, den Bogomilen in den Gebirgstälern des Hämus, den Messalianern, den Euchiten, den Neo-Enthusiasten, den Borboriten, die sich selbst die Schmutzigen nennen, weil sie ihren Samen auf das Himmelsbrot vergießen, wenn dein Weg war und ist der Weg der unzüchtigen Nikolaiten, der Karpokratianer, der

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