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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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angetan hatte, mich zum Trauzeugen zu wählen. Meine Zeugenschaft aber hatte damals der jungen Ehe leider nicht zum Segen gedient, da die Scheidung noch vor Ablauf eines unerquicklichen Jahres erfolgte. Diese Erinnerung meines Versagens als Trauzeuge berührte mich sehr unangenehm im Hinblick auf die herrliche Braut neben mir. Jedenfalls aber besaß ich die vorschriftsmäßigen weißen Gants de peau des Ballbesuchers, um meine Tänzerin nicht mit der nackten Hand berühren zu müssen. Während ich jedoch die Glaces nervös anlegte, fuhr ich plötzlich zusammen bei dem Gedanken, daß ich gestern, durch die Ahnfrau verführt, meine Hand zwischen Lalas nackten Brüstlein liegen hatte, und zwar zum ausdrücklichen Zwecke, damit etwas von den urweltlichen Kräften des zwanzigsten Jahrhunderts auf das schöne Kind einer späten, linien- und schicksalslosen Zeit übergehe. Ich fühlte, daß ich für mein Alter beschämend rot wurde und an den Haarwurzeln zu schwitzen begann. Eine tiefe Verwirrung lähmte mich. Ich wußte plötzlich, daß ich nur deshalb nach den Handschuhen gegriffen hatte, um nicht wieder in die Lage zu kommen, des Mädchens nackten Leib zu berühren. Die Ahnfrau hatte recht. Die Berührung so ungleicher Elemente konnte nicht ohne Folgen bleiben. Wahrhaftigen Gottes, ich dachte nicht an mich, ich dachte nur an Lala, die ich schützen wollte vor meiner alten, schicksalsvollen, vieldurchkreuzten Hand. Zugleich aber wußte ich in meiner namenlosen Verwirrung, daß Lala alles erriet, was in mir vorging. Auch ohne das clairvoyante Vermögen des mentalen Menschen müßte sie alles erraten haben, denn weder die Bräute noch die Stutzer und Gecken trugen irgendwelche Handschuhe aus Schleierstoff oder Batist. Ich zerbiß meine Lippen vor Verlegenheit. Lala sah mir aufmerksam auf die Hände und gab durch keine Miene zu erkennen, daß sie alles wußte. Da platzten die Nähte meiner Handschuhe. Man kann es ihnen nicht verdenken, bei der enormen Lebensdauer, die sie überstanden hatten. Ich hoffte jetzt zu Gott, Lala werde lachen wie gestern, je höhnischer um so besser. Ihr Lachen hätte mich empört und befreit. Sie lachte aber nicht, sondern blieb ernst und gemessen.
    »Welcher Tanz ist Ihnen der liebste, Seigneur«, fragte sie, die Distanz zwischen uns durch einen mädchenhaft verschlagenen Respekt betonend.
    »Bitte überlegen Sie noch einmal«, flehte ich, »was Sie tun.«
    »Heißt das, daß Sie mich zurückweisen, Seigneur?«
    »Das könnte kein Mann tun, und wäre er um noch einmal hunderttausend Jahre älter als ich.« Wie litt ich unter diesen Worten, die mich mit ihrem öden Kompliment viel schlimmer verletzten als meine lederne Lehrhaftigkeit gestern Abend. Das war auch der Grund, warum ich jetzt gegen Lala ausfallend wurde: »Ich hoffe nur«, erklärte ich mit outrierter Bitterkeit, »daß Sie sich nicht aus Snobismus oder Blaustrümpferei um zwei schöne Lebensstunden selbst betrügen. Wenn ich auch für Ihre Freunde und Freundinnen ein rares Ausstellungsstück bin, so wäre ich doch diesen Snobismus nicht wert …«
    »Welcher Tanz also beliebt Ihnen, Seigneur?« überhörte Lala meine geschmacklosen Worte und legte mit unbeschreiblicher Gewichtslosigkeit die Fingerspitzen ihrer Rechten auf meinen fast fühllosen linken Glacéhandschuh, während sie ihre Linke mit einer Spur von intimerem Druck auf meiner rechten Frackschulter ruhen ließ, zum Tanze bereit.
    »Ich war niemals ein großer Tänzer, liebes Kind«, stammelte ich. »Als ich so jung war wie Sie, da hat man in einer Welt, die noch zu meinen Lebzeiten unterging, hauptsächlich einen Tanz getanzt, der Walzer hieß. Es war schon damals ein akzentuiert altmodischer Tanz, da die Paare sich im Wechselschritt rundum drehen mußten, was ihnen die Luft aus den Lungen pumpte und das Wasser aus den Poren trieb …«
    »Und welche Tänze hat man später bei Ihnen getanzt, Seigneur?« fragte Lala, ohne ihren Ernst zu verlieren.
    »Später, ja später«, dachte ich laut, »da hat man überhaupt nicht mehr richtig getanzt. Es war eher ein paarweises Hin- und Hergehen, eine Art indolenter Spaziergang der Geschlechter auf überfülltem Tanzparkett. Ich will nichts dagegen sagen. Dieses Spazierengehen hat seinen Dienst getan. Dazu stöhnte, unterstützt von hartnäckigem Teppichklopfen, eine gepreßte Musik, welche die Erinnerung von zivilisierten Negern an den afrikanischen Busch mit der anglo-amerikanisch redenden Technik illegitim gezeugt hatte.«
    »In

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