Stern der Ungeborenen
Rechten trug er den Weihwassersprenger. Er sah mich aufmerksam und traurig durchdringend an, bevor er ziemlich leise das Gloria hallen ließ:
»Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto.«
Nachdem er sich feierlich selbst bekreuzt hatte, wandte er sich mit gewöhnlicher und höflicher Stimme an mich:
»Wenn es möglich ist, so bitte ich, sich zu bekreuzen.«
Ich schlug gehorsam ein Kreuz, obwohl ich mich über die Form der Aufforderung sehr wunderte. Warum sollte es mir unmöglich sein, mich zu bekreuzen? Der Mönch beobachtete aufmerksam prüfend, wie ich Stirn, Brust und beide Schultern mit meinem rechten Zeigefinger berührte. Es schien ihm einiges Staunen zu verursachen, daß die Gebärde gelang, ohne mißliche Folgen für mich zu haben. Vom Hochsitz des Bischofs her erklang ein langgezogenes »Oremus«.
Diesem folgte leises Gebetstönen.
»In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti«, begann der Sprecher von neuem, und dann fragte er in solenn liturgischem Tonfall mich ins Gesicht: »Quis tu es? – Wer bist du?«
Ich antwortete laut und deutlich, wie ich so oft im Leben auf diese inquisitorische, wenn auch weniger liturgisch stilisierte Frage geantwortet hatte, in Schulzimmern, in Kasernenzimmern, in Amtszimmern, in Polizeistuben, auf Zeugenbänken, auf Konsulaten und Grenzübertrittsstellen, wenn mich ein Land verjagt hatte und das andere keine Eile zeigte, mich aufzunehmen. Die beiden jüngern Mönche traten langsam durch die Gitterpforte auf mich zu, flankierten mich und näherten von rechts und links die brennenden Kerzen meinem Gesicht, so daß es deutlicher gesehn werden konnte, wodurch aber meine eigene Erregung wuchs. Der amtierende Priester stand jetzt inmitten der Gitterpforte, die er oben mit seinem Kopf berührte, nicht mehr als drei Schritte von mir entfernt.
»Quounde venis? – Von wannen kommst du?« fragte er, während er diesmal seinen Kopf gebeugt hielt.
Obwohl ich mich durch nichts verhalten fühlte, Rede und Antwort zu stehn, und einen wachsenden Ärger über dieses unerwartete geistliche Gericht empfand, das mich um den Freitanz mit Lala im Parke des Arbeiters gebracht hatte, war es mir doch ganz und gar unmöglich zu schweigen, was ich mir einen Augenblick lang vorgenommen, und ich entgegnete nicht nur wahrheitsgemäß, sondern auch ausführlich:
»Ich erschien am gestrigen Nachmittage, etwa um die vierte Stunde in dieser Welt. Ich habe keine Erinnerung und keine Ahnung, auf welche Weise es geschah, daß ich erschien. Es könnte am ehesten sein, daß ich aus irgendeinem dunklen mittelalterlichen Torgang herausgetreten bin, in somnolentem Zustand einen mehr oder weniger langen Weg zurückgelegt habe, um schließlich irgendwo auf dem mir völlig ungewohnten eisengrauen Rasen meinem alten Freunde B. H. zu begegnen, den ich sofort erkannte, und der mich sofort erkannte, obwohl ich mindestens eine halbe Stunde lang unsichtbar gewesen bin, und zwar auch für mich selbst. Das ist die volle Wahrheit, auf die ich jeden Eid leisten kann. Über das ›Wie‹ dieser technisch hochentwickelten Nekromantie, deren Opfer ich bin, werden mir die hochwürdigen Patres zweifellos eher Auskunft geben können als ich ihnen …«
In meinen Worten muß irgendein ironisch bitterer, ja frecher Trotz mitgeschwungen haben. Das merkte ich dem Schweigen der geistlichen Versammlung an. Die Köpfe schienen sich tiefer zu senken, als wäre die Hoffnung im Schwinden, daß diese Geschichte erfreulich ausgehen könne. In dem versunkenen Schweigen rundum schritt der Priester, der mich verhört hatte, zum Hochaltar zurück, vor dem er sich niederwarf, um in dieser Prostration lange zu verharren. Wiederum erschallte das langgezogene »Oremus« und darauf das gregorianische Gebetstönen:
»Deus coeli, Deus terrae, Deus Angelorum,
Deus Archangelorum, Deus Prophetarum,
Deus Apostolorum, Deus Martyrum, Deus
Virginum, Deus, qui potestatem habes
donare vitam post mortem.
Humiliter majestati gloriae
tuae supplicamus, ut famulum tuum
de immundis spiritibus liberare digneris.
Per Christum Dominum nostrum.«
Als das Gebet beendet war, erhob sich der Sprecher, schritt langsam auf mich zu, blieb dicht an der Gittertür stehn und rief mich an – ich will nicht sagen, schrie mich an – mit lauter mahnender Stimme, jede einzelne Silbe staccato akzentuierend, als müsse er sich nicht allein mir verständlich machen, sondern mehr noch dem Wesen, das sich in mir versteckte:
»In Namen des Vaters, des Sohnes, des
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