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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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seine Form streng bewahrt hatte und von einer hohen, goldstrahligen Monstranz gekrönt war. Daß es sich hier nur um eine große Kapelle, und zwar um die Privatkapelle des Großbischofs handelte, dafür spricht nichts anderes als mein erster persönlicher Eindruck. Mag sein, daß die Metropolitan-Kathedrale des Kirchenfürsten ebenso ungeschmückt war wie seine Privatkapelle, jedenfalls ich, in einer barocken Umgebung aufgewachsen, konnte mich schwer an die völlige Bildlosigkeit dieser mentalen Kirche gewöhnen. Heute, das heißt heute, da ich diese Zeilen aufs Papier werfe, neige ich zur Annahme, der Klerus habe in seiner dogmatischen Verteidigung der göttlichen Ebenbildlichkeit des Menschen lieber auf jederlei Bildwerk verzichtet, als eine »abstrakte« oder gar »analytische« Kunst, wie sie wieder einmal blühte, über die Kirchenschwelle zu lassen.
    Der architektonisch symbolische Grundriß der Kreuzesform war derselbe geblieben wie zur Zeit der romanischen, gotischen und barocken Kirchen. Was mich fremdartig berührte, war das Fehlen jeglichen Kirchengestühls, das den Andächtigen hätte Platz bieten können, der Messe kniend beizuwohnen. Das mäßig große Schiff dieser Bischofskirche erstreckte sich als ein leerer Raum, der in der Mitte etwa durch ein hohes, prächtig ornamental gearbeitetes Gitter aus dunkel altsilbrigem Metall in zwei Abschnitte geteilt war. Den Sinn dieser Teilung verstand ich noch nicht. Ich mußte aber an das Zeitalter der primitiven Kirche denken, wo die Christlichen Gemeinden zum Teil aus den schon Getauften bestanden und zum Teil aus den Katechumenen, die zur Aufnahme in Christum vorbereitet wurden, aber noch Heiden waren. Beide Teile, Getaufte und Katechumenen, nahmen in einem ähnlich wie hier durch eine Scheidewand getrennten Raume am Gottesdienst teil.
    Von meinem kleinen Kuttenmann geführt, näherte ich mich dem Gitter, in dem eine schmale eigene Pforte offenstand. Ehe ich diese aber noch erreicht hatte, fühlte ich mich sanft zurückgehalten. Und jetzt fiel es wie Schuppen von meinen astigmatischen Augen. Der erhöhte Podest, auf dem der Altar sich erhob, war nicht leer, wie mir’s beim Eintritt vorgekommen war. In den Chorbänken zu beiden Seiten des Allerheiligsten saßen schwarze Patres, die zweifellos zu demselben Orden gehörten wie der Laienbruder, der meinen Freitanz mit Lala unterbrochen, das Fest der Bräute gestört und mich auf Befehl des Großbischofs hierhergeführt hatte. Ich habe gesagt, die Mönche saßen. Dies ist weder ein Lapsus memoriae noch ein Lapsus calami. Ich schreibe es nicht nieder aus Vergeßlichkeit oder Irrtum. Ich habe jene Väter wirklich sitzen gesehn. Die Priester der christkatholischen Kirche, welche alle Zeitalter überdauert hatte, nahmen keinen Anstoß an der gebrochenen Linie, wie es die Affektation der mentalen Manier vorschrieb. Inmitten der Mönche thronte auf seinem erhöhten Herrschersitz der Großbischof in zartgrünen Meßgewändern, die sich nicht von jenen unterschieden, die ich kannte. Sein Antlitz leuchtete groß, deutlich und regungslos im nüchternen Tag dieser Kirche. Es war ein glattes, aber ein altes Antlitz, und der Anblick dieses edel einbekannten Alters erfüllte mich mit sonderbarer Befriedigung. Der kleinen Gitterpforte, vor der ich stand, hatten sich jetzt drei der Väter genähert. Ihre Gestalten waren viel größer als die der durchschnittlichen Zeitgenossen, jedoch überaus schmal. Sie erreichten fast die Größe des Arbeiters, bildeten aber sonst den schärfsten Gegensatz zu dieser Gestalt. Der in der Mitte schritt, war der größte von den dreien und auch der älteste, obwohl durchaus nicht alt. Schmälere, vergeistigtere Gesichter, so scheint es mir jetzt, habe ich nie gesehen. An den Gesichtern der Geistlichen konnte man den Hochgrad der Asketik ablesen, welche das heiligmäßige Leben in der so anders gearteten astromentalen Welt erreicht hatte. Die beiden jüngeren Mönche, rechts und links von dem, der die größte Gestalt und die asketisch feinsten Züge besaß, hielten jeder eine brennende Kerze in der Hand. Ich war aber viel zu sonderbar erregt, um diesen brennenden Kerzen dieselbe freundschaftliche Empfindsamkeit schenken zu können wie sonst allem Altvertrauten, das sich ins Elfte Weltengroßjahr der Jungfrau verirrt hatte. Der älteste von den drei Priestern, der die Stola trug, hatte auf seiner linken Handfläche ein winziges Büchlein liegen, nicht größer als eine Briefmarke, doch in seiner

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