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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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zumuten«, hält der scharfsinnige Leser, der mit gutem Recht auf meine Finger sieht, mir hier entgegen: »Die gesamte Weltliteratur seit mehr als hunderttausend Jahren soll in der Privatbibliothek eines Prälaten Platz finden, worunter sich auch noch solche ausgefallenen Raritäten wie jenes Fortalitium Fidei befindet? Alle Achtung vor dem Elften Weltengroßjahr der Jungfrau. Solche Dinge werden Sie mir aber nicht einreden!« – Darauf habe ich wahrheitsgemäß zu antworten: Es gab zwar eine Handvoll uralter Originalausgaben in dieser Bibliothek, in denen auch mein und das Auge des Lesers Bücher erkannt hätte. Freilich, keine dieser antiken Originalausgaben war viel älter als fünfundzwanzig- bis dreißigtausend Jahre. Dies war ungefähr die Grenze der Haltbarkeit des allerbesten Materials, in welchem sich der schriftlich festgehaltene Geist zu verewigen meint. Die meisten Werke für die gebildete Leserwelt, ich meine natürlich die relativ modernen Ausgaben, waren in einer mir unbegreiflichen Imaginotypie publiziert, in winzigen Bändchen (briefmarkengroß) oder auf schmalen Röllchen (wie Mikrofilmstreifen), alles in einer Bilderschrift der Zusammenfassungen und Auslassungen, die so viel Raum ersparte, daß zum Beispiel ein ganzes Kapitel der Bibel in einem einzigen, dem Arabischen ähnelnden, vielverschlungenen Liniengebilde enthalten war. Die moderne Imaginotypie oder Fulgurotypie (Blitzschrift) beruhte auf der beinahe ins Übermenschliche entwickelten Fähigkeit des mentalen Intellekts, sich Vorstellungsreihen zu eigen zu machen, indem man sie übersprang. Nur die allabendliche Zeitung der zusammenhüpfenden Sterne erschien in einer demotisch extensiven Schrift, so daß nicht nur das einfältigste Zeitkind, sondern selbst ich sie zu lesen imstande war. Vor des Großbischofs Büchlein und Röllchen hingegen erwies ich mich als dunkelster Analphabet, was ich ihm auch sofort eingestand.
    »Dafür beherrschen Sie das Griechische, Lateinische und Hebräische«, überschätzte seine Gnaden meine Fähigkeiten, »was so manche unter unsern gelehrten Klerikern nur vorgeben, zu verstehn«, und er fügte mit einem Blick nach der Tür hinzu: »Den hochwürdigen Pater Exorzist nehme ich selbstverständlich aus.«
    Des Kirchenfürsten volles, aber schönes Greisengesicht (es war trotz mentalen Jugendanscheins ein echtes Greisengesicht), sank nachdenklich auf die Brust. Ich fühlte, daß er mit sich kämpfte:
    »Sie werden, mein lieber Sohn, gewiß einige Fragen an mich zu stellen haben«, begann er nach einem längeren und unentschlossenen Schweigen.
    »Wenn ich Eure Lordschaft damit nicht belästige«, nahm ich den Faden auf.
    »Nachher, nachher«, winkte er ab. »Zuerst habe ich eine Frage an Sie zu richten, ja ich an Sie. Ich weiß, daß ich mit dieser Frage die Grenzen meiner Befugnisse beinahe überschreite und etwas zur Kenntnis nehme, was ich als Bischof keinesfalls zur Kenntnis nehmen dürfte. Doch schließlich, Sie sitzen vor mir in Fleisch und Blut. Und ich bin nicht nur der Hirte meiner zahlreichen Ovetten, sondern … sondern … wie haben Sie doch vorhin von sich selbst gesagt, mein lieber Sohn? … eine arme Seele … Ja, das bin ich, und ich darf mich auch so nennen. Sie aber, mein Kind, obwohl dem Anschein nach viel jünger, Sie sind eine arme Seele von weit mehr Erfahrung als ich … das heißt … «
    Und nun senkte er seine Stimme zu einem Hauch, und es dünkte mir, er wolle die folgenden Worte vor den Ohren des allhörenden Pater Exorzist verbergen:
    »Beantworten Sie mir bitte diese Frage, mein Kind … Wie ist es, wenn man tot ist?«
    Ich schwieg betroffen. Auch der Großbischof zeigte sich bestürzt und begann, seine Stirn verlegen zu reiben:
    »Ich habe mich ein wenig unpassend ausgedrückt, mein Kind, ich weiß es«, stotterte er. »Der Glaube belehrt uns in den Lehrsätzen der Eschatologie klipp und klar über das Schicksal, welches unsre armen Seelen zu gewärtigen haben, wenn Gott ihnen die Bürde des Leibes abgenommen hat. Fern sei es von mir, an den ewigen Wahrheiten der letzten Dinge zu deuteln oder mit verwerflicher Neugier enträtseln zu wollen, was der Herr in gnädiger Weisheit dem sterblichen Bewußtsein entzieht. Immerhin aber geschieht es selbst in unserem schamlos sündigen Zeitalter nicht alle Tage, daß jemand erscheint, der drüben schon zu Hause war … « Er seufzte schwer auf und fügte dann sorgenvoll hinzu: »Sie wissen wahrscheinlich noch nicht, mein Freund, daß

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