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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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mein täglicher Abfall von Gott, meine Untreue gegen die Menschen, meine Übertretung der Gebote mit dieser verdammten Geschichte der Häresien zu tun, in der ich soeben eine allzulange Lektion erhielt?«
    »Mein lieber Sohn«, erwiderte der Großbischof mit Sanftmut, »als Sie gestern abend das Geodrom betraten, hat die weltliche Behörde, wie es der Brauch will, Ihren Seeleninhalt geprüft« (es klang genau wie »Mageninhalt«). »Dabei stieß man auf die Namen von Basilides, Valentinus und andrer Irrlehrer … Sie müssen bedenken, Ihre Existenz in dieser Welt ist, gelinde gesagt, sehr ungewöhnlich …«
    »Basilides, Valentinus, es war meine letzte Lektüre im Leben, weiter nichts«, versetzte ich heftig und drohte wieder meine Ruhe zu verlieren. »Ist das die Heiligkeit des Privatlebens im mentalen Zeitalter? Und erkennt die Kirche den Kakodämon heute an nichts Charakteristischerem als an absurden und verschollenen Irrtümern?«
    »Es gibt nichts Charakteristischeres, mein Sohn«, sagte der Großbischof ziemlich leise, »denn der Irrtum entspringt dem Bösen wie das Böse dem Irrtum.«
    »Und dazu kommt noch eines«, murmelte der Bischof, indem er die beiden Türen seiner Bibliothek, in die er mich geführt hatte, vorsichtig verschloß, »ja, ja, noch eines, mein Herr und Freund. Unser Pater Diözesanexorzist ist, was Ihnen nicht unbekannt blieb, ein gewaltiger Gelehrter. Er hat Anstoß daran genommen, daß man Sie allgemein mit dem Titel Seigneur anredet.«
    »Ich habe mir diesen Titel nicht ausgesucht, Euer Lordschaft«, entgegnete ich ziemlich ärgerlich. »Ich war selbst erstaunt und nicht gerade angenehm berührt davon, als man mich gestern zum erstenmal mit ihm beehrte. Ich weiß sehr wohl, daß der Titel Monseigneur nur einem Prälaten der römischen Kirche zukommt und nicht einer armen Seele, wie ich es bin …«
    »Das ist es nicht, mein lieber Sohn«, unterbrach mich der Bischof mit einer Handbewegung gegen die Wände des Raums. »Es gibt aber ein Werkchen in meinem Sephirodrom, dessen Original etwa zu Ihren Lebzeiten erschienen sein dürfte, so zwischen Vierzehnhundert und Fünfzehnhundert post Christum incarnatum. Das Büchlein betitelt sich ›Fortalitium Fidei‹, und der Verfasser, Alphonse de Spina, schildert in dem Kapitel ›Täuschung der Weiber durch den Dämon‹ den Greueldienst, den man damals mit dem großen Bock, Elboche de Bitche, in finstern Neumondnächten trieb, wobei man ihn ›Seigneur‹ oder ›Monsignore‹ nannte.«
    Ich brach in lautes und unziemendes Gelächter aus, in das, nach einer erstaunten Weile, der Kirchenfürst gutmütig einstimmte:
    »Nun, Sie haben wirklich nichts vom Elboche de Bitche oder einem andern dämonischen Tier an sich«, sagte er endlich, »das haben wir schnell erkannt; es sei denn, daß Ihr schwarzer Rock mit seinem schwanzartigen Ende anfangs unsern Verdacht erregt hat. Im übrigen: alle guten Geister loben Gott. Ich heiße Sie willkommen, mein lieber Sohn.«
    Der Großbischof holte aus einem Wandschränkchen, nicht ohne Zärtlichkeit, eine Karaffe, in der zweifellos goldener Wein schimmerte, und einen Korb mit flachem, weißem Fladenbrot.
    »Sie werden dergleichen nirgends anders vorgesetzt bekommen«, lächelte er und stellte die Gottesgaben auf einen niedrigen Tisch. Er hatte recht. Wein und Weizen wurden nur noch auf den episkopalen Plantagen gezogen. Ein Teil der Frucht wurde zur Konsekration bestimmt, der andre unter den Klerus verteilt.
    Ich nippte vom Wein, der feuriger war als jeder weiße Burgunder, den ich kannte, ich aß vom Brote, denn ach, in mir war ein sehr großes Verlangen nach Wein und Brot, wie nach allen Gütern, die meiner eigenen Zeit angehörten. (Ich versuchte gar nicht, meinen geistlichen Wirt darüber aufzuklären, daß ich nicht dem vierzehnten bis fünfzehnten, sondern dem zwanzigsten Jahrhundert angehörte, hatte doch selbst der hochgelehrte Pater Exorzist mich kläglich falsch lokalisiert, das heißt temporisiert.) Auch daß der Bischof und ich inmitten des Sephirodroms auf Lehnstühlen saßen, ohne dadurch als unmanierlich aufzufallen, war eine große Bequemlichkeit, die ich bewußt genoß. Mehr als alles andere aber erfreute mich die Umgebung von Büchern, von Geisteswerken, eine gewiß feingesiebte literarische Auswahl der vergangenen Jahrtausende und Jahrzehntausende, die dieser Raum in Schränken, Behältern, Regalen und Körben beherbergte. – »Das ist aber sehr sonderbar, was Sie mir da zu glauben

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