Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
böser Geist zu sein, da ich selbst mit einigen der unerbittlich aufmarschierenden Irrlehren im Kampf gestanden hatte:
    »… gehörst du«, hallte es groß und eintönig in mein Ohr, »zu Voltaire und zu den andern, welche unter dem Worte ›menschliche Gerechtigkeit‹ die teuflische Überhebung ihres eigenen Stolzes an die Stelle Gottes setzen und nicht wissen, daß Gerechtigkeit ohne Gnade das Feuer der Hölle selbst ist, – bist du durchdrungen von den Lehren Immanuel Kants und seiner philosophischen Nachfolger, welche die geschöpfliche Vernunft mit der göttlichen Vernunft verwechseln und darum behaupten, ihre Philosophie und Wissenschaft sei voraussetzungslos kritisch, – ziehst du mit den wilden Heeren Saint Simons, Proudhons, Karl Marxens, Friedrich Engels’ und Wladimir Iljitsch Lenins, welche erfunden haben den häßlichsten Menschenhaß unter dem Vorwand wissenschaftlich eisgekühlter Menschenliebe, sie, die mit dem verräterischen und grauenhaften Worte ›Masse‹ beschimpfen die zur Erlösung und Gottesschau bestimmten Seelen und das Volk der Armen und Gefangenen dadurch befreien, daß sie es in einen noch tieferen und kälteren Kerker stoßen, dessen Tyrannen und Schließer freilich sie selbst sind, – schlägst du dich zum volkreichen Stamme derer, die Darwin, Huxley und Haeckel nachfolgen, zum Stamm der Naturschwärmer, den man einteilt in die ›Sandalenträger‹ und in die ›Galoschenträger‹, zu jenen, die die göttlichen Tiefen der Natur mit einer Lotterie verwechseln, in welcher immer nur ›der Stärkere‹ das Los des Überlebens zieht, – findest du dich zusammen nächtlicherweile mit Okkultisten, Salonbuddhisten und Theosophen, welche im unreinen Mischtopf die heiligsten Geheimnisse mit ihrem eigenen Aberwitz zusammenbrauen, – findest du dich zusammen täglicherweile mit Sigmund Freud und seinen Psychoanalytikern, die, in die weißen Kittel von Ärzten verkleidet, die Abgöttin des Geschlechtskitzels Libido, welche nichts ist als die alte Astaroth, zur Beherrscherin des Herrschers machen, des Logos, – hängst du an den Philosophen, die sich Positivisten nennen, weil sie von nichts als vom großen Negativum überzeugt sind, an Auguste Comte und Spencer, an dem Verneiner Gottes aus Wehleidigkeit, Schopenhauer, und an dem Aufrührer Nietzsche, der von Anfang zum Ende, er reiße und tobe wie er wolle, ans Kreuz des Gekreuzigten mit Eisenketten geschmiedet ist, weshalb er genannt sei der Kettenhund Christi, der die Gläubigen verbellt, – betest du gar zu jenem Stefan George, und sein Name stehe für alle von Herrschsucht berstenden Kalligraphen, die, anstatt in Sack und Asche, mit stark geschweiften Röcken, gebauschten Krawatten und falschen Danteköpfen einherwandeln und ihre Schultern und Hüften drehn, wobei sie einen kranken Lustknaben öffentlich zum Heiland machen und die blecherne Geistesarmut in kostbaren Gefäßen umherreichen, während die von ihnen Verführten dem rohesten und blutigsten aller Teufel schließlich ins Garn gehn, – und trittst du an die Seite Reinhold Ebermann Kotitzkys, des Orthobiotikers, der nach all diesen kam und predigte, das Leben sei des Lebens einziger Grund, und das Paradies liege im harmonischen Stoffwechsel … «
    Hier konnte ich mich nicht länger beherrschen. Ich hob abwehrend die Hände hoch, trat zwischen den beiden Kerzenträgern vor und unterbrach den Pater Exorzist mit starker Stimme:
    »Sie brauchen sich nicht weiter zu bemühen, Hochwürden. Nein, nein und immer wieder nein ist meine Antwort. Was aber Reinhold Ebermann Kotitzky, den großen Orthobiotiker, anbelangt, so kam er nicht nur nach Stefan George, sondern auch nach mir. Ich kenne weder seinen Namen noch seine Ketzerei. Für die vergangene Zukunft darf man nicht einmal mich in meiner Hilflosigkeit verantwortlich machen.«
    »Oremus«, klang es jetzt langgezogen vom Bischofsstuhl, und ein stärkeres und ausführlicheres Chorgetön erfolgte. Ich aber bebte vor Unmut, so daß mir die Tränen in die Augen traten, und ich den Pater Exorzist mit seinen Gehilfen nicht mehr sehen konnte. Erst als der Großbischof im milden Grün mich tröstend in seine Arme schloß, begann ich mich langsam zu beruhigen.
    »Euer Lordschaft«, brachte ich hervor, noch immer um Fassung kämpfend, »ich habe nichts dagegen, daß man mich für einen potentiellen bösen Geist hält – jeder Mensch, der etwas Geist hat, ist ein potentieller böser Geist. Was aber hat meine schwere Sündigkeit,

Weitere Kostenlose Bücher