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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Io-Do sei mit innerer Betrachtung beschäftigt, sah ich ihn im Geiste vor seiner Waffenwand stehen und den unheilbaren Rost von Schießprügeln des Alterstums putzen. Io-Fagòr und die andern forderten mich auf, nach Hause zu kommen und eine kräftige Mahlzeit einzunehmen.
    »Meine Herren«, dankte ich, »das wäre zu viel für meinesgleichen, denn man hat mich im Laufe dieses Vormittags schon mit drei mystischen Mählern traktiert. Zuerst bekam ich heidnischen Käse und Quellwasser zu kosten, dann Brot und Wein und schließlich Milch und Honig. Ich bin satt.«
    »Und was dürfen wir Ihnen sonst anbieten?« fragte der Wortführer, zu dessen Ressort die Unterhaltung gehörte.
    »Die Sonne steht hoch am Himmel, und ich dürste nach neuen Erkenntnissen«, sagte ich, und es klang weit weniger scherzhaft als ich’s gemeint hatte.
    »Wie wär’s mit dem Seminar des Sophistes Io-Clap?« erwog der Hausweise.
    »Warum sind Sie so streng gegen mich?« fragte ich lachend.
    »Das sieht Ihnen wieder einmal ähnlich«, starrte der Wortführer den Hausweisen vernichtend an, in dem er den überflüssigsten aller Rivalen sah.
    »Haben Sie nicht gestern das Wort ›Chronosophie‹ gebraucht?« wandte ich mich nachdenklich an Io-Fagòr.
    »Da ich Ihre Interessen ahnte, und mehr als ahnte«, lächelte der Brautvater, »habe ich längst schon alles veranlaßt. Wir werden uns sogleich zum Djebel begeben. Sind Sie bereit, Seigneur?«
    »Ich möchte, daß Sie zuerst überlegen«, unterbrach ihn B. H. mit spürbarer Ängstlichkeit, »ob eine chronoelastische oder chronogymnastische Übungsstunde für eine völlig untrainierte Seele nicht große Gefahren in sich birgt. Vielleicht sollte man vorher einen Arzt zu Rate ziehen …«
    »Aber B. H.«, sagte ich empört. »Untrainierte Seele? Was soll das heißen? Meine Absenz und meine Wiederkunft, war das etwa kein Training?«
    »Von den Zuständigen«, erklärte Io-Fagòr beruhigend, »ist alles reiflich bedacht und geprüft worden. Seigneur wird am Elementarunterricht der jüngsten Knaben teilnehmen.«
    Da hatten wir nun den berühmten »Djebel« in seiner vollen Großartigkeit vor unsern Augen. Wir, das waren Io-Fagòr, B. H. und ich. Der Djebel aber war ein gewaltiger, künstlicher Berg von mehr als viertausend Fuß absoluter Höhe und aus einer zum Teil völlig durchsichtigen, zum Teil höchst durchscheinenden glasflußartigen oder kristallinischen Masse errichtet, wobei sich die Feder sträubt, das Wort »errichtet« für ein artifizielles Phänomen anzuwenden, das alle natürlichen Phänomene des eingeebneten Planeten an Wucht und Erhabenheit weit zu übertreffen schien. Im Djebel hatte die strebende Menschheit (die von Gott immer weiter fort-strebende, nach des Großbischofs Wort) die »Transfiguration der Natur« beinahe erreicht. Der Berg bedeckte ein Gebiet von nicht geringerem Flächeninhalt als einst ein mittelgroßer Gebirgsstock der Alpen bedeckt haben mochte. Auch war er besonders schön gestuft und gegliedert, und zwar dergestalt, daß die symmetrischen Gedanken seiner Architektur sich immer hinter den Asymmetrien der nachgeahmten wilden Natur zu verbergen wußten. Einschnitte und Täler unterbrachen den Djebel in seinem ganzen Umfang. Aus diesen Tälern ergossen sich Bäche von der Höhe herab in die Ebene. Dieselben Bäche aber bildeten im prismatischen Kristallgezack der oberen Regionen regenbogenfarbige Wasserfälle, Sprüh- und Schleierkaskaden. Der Djebel bot sich mir überhaupt weit mehr als ein optisches Gebilde dar, als wie eine überwältigende Baulichkeit aus festem Material. Mit den Worten »optisches Gebilde« will ich etwas bezeichnen, was eher aus Licht, Lichtflächen, Schlagschatten, Strahlen, Strahlenbrechungen, Spektralphänomenen, Farbenreihen und -rückungen besteht als aus etwas anderem. Dieses vieldeutige Licht war manchmal unerträglich blendend, manchmal farbenschwer gedämpft. Niemals aber verlor der Djebel seine kathedralenhaft sich nach oben verjüngende Bergform. Er war ein Eiger, ein Mönch, eine Jungfrau, nicht ganz so hochragend wie diese Schweizer Gipfel, dafür aber von Menschenhand aus einem Stoff geschaffen, der von der Ferne nicht viel weniger materiell sich darbot als das pure Licht in seinen verschiedenen Brechungen. Mit ausgesprochenem Vergnügen sahen mein Freund B. H. und mein Gastfreund Io-Fagòr die anstaunende Fassungslosigkeit in meinen Zügen. Es war ja das erste Mal, daß ich mich fassungslos zeigte, denn das Zusammenknüpfen

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