Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
der Himmelssterne zu journalistischen Verkündigungen hatte mich eher nervös gemacht als in staunende Bewunderung versetzt. Vor dem millionenfachen Durcheinanderblitzen und -glitzern, Flammen und Flimmer des astromentalen Berges hatte ich aber wirklich meine blasierte Haltung verloren.
    »In unserm Djebel, den Sie hier vor sich sehen«, belehrte mich lächelnd Io-Fagòr, »sind alle drei Lamaserien der Chronosophen untergebracht.«
    »Wie ist es möglich«, hörte ich mit Unlust mich selbst stammeln, »wie können die Körper und Nervenzellen mentaler Menschen inmitten solcher Lichtkatarakte das Leben ertragen?«
    »Aber F. W., wo denkst du hin?« schüttelte B. H. über meine Naivität den Kopf. »Selbstverständlich befinden sich die ›chronoelastischen‹ und ›chronogymnastischen‹ Übungssäle der Sternwanderer, die Versammlungshallen der Verwunderer (der Thaumazonten), die Erkenntniszellen der Fremdfühler (der Xenospasten), von den Dormitorien der Studenten bis hinab zum Comptoir des Hochschwebenden in den angenehmsten Dämmerungen und Hausbeleuchtungen. Zu meiner Schande muß ich sagen, daß ich dies alles nur vom Hörensagen weiß, denn trotz meines Alters habe ich nie den Djebel betreten …«
    »Und Sie selbst, Seigneur«, fügte Io-Fagòr hinzu, »werden im Djebel eine Finsternis kennenlernen, von der Sie sich auch während Ihrer Absenz nichts haben träumen lassen.«
    Mich durchfuhr plötzlich eine Ahnung. War der Djebel etwa ein riesenhaftes, unermeßlich kompliziertes Spiegelteleskop, das das menschliche Auge über alles je Erdachte hinaus in den Weltraum trug und das echte Bild der kosmischen Wirklichkeit in unser Bewußtsein projizierte? Schon wollte ich diesen Einfall verraten, als mich davon der Gedanke zurückhielt, daß bereits am Ende meines Lebens die mammuthaften Teleskope von Mount Wilson oder Arequipa altmodisch und überholt gewesen sein mochten und vermutlich durch kleinwinzige elektronische Ikonoskope oder durch televisionäre Filmapparaturen abgelöst zu werden im Begriffe standen. Man konnte ohne Zweifel ein oder zwei Jahrzehnte nach meinem Dahingang das aktuell abrollende Bild des Sternenhimmels in der Westentasche tragen wie eine Uhr, um es zu Hause nach einem gemütlichen Souper in unglaublicher Plastik sich selbst vorzuspielen wie den Amateurfilm, den man von einer Ferienreise heimgebracht hat. Ein oder zwei historische Epochen später konnte allerdings die Astronomie wieder bei Mammutapparaten halten, im ewigen Wechsel der Dinge.
    Meine Leser wissen schon, daß ich nichts erkläre, was ich nicht selbst erklärt bekam, oder, obwohl ich’s erklärt bekam, nicht erfaßte, einfach deshalb, weil die rückständigen Voraussetzungen eines Geistes aus den Anfängen der Menschheit zum Verständnis nicht ausreichten. Ebensowenig wie ich versucht habe, das Reisegeduldspiel und seine Wirkungsweise zu erklären, ebensowenig und noch viel weniger will ich’s beim Djebel versuchen, obwohl ich, wie man noch sehen wird, einigemal von dem Argwohn, mich inmitten eines Teleskops zu befinden, versucht wurde. Die Anwandlungen des Zweifels aber verschwanden jedesmal schnell. Wir alle werden in Kürze den interplanetaren Raum durchdringen, ohne die Wirklichkeit unserer Erfahrung zu bezweifeln, und wenn wir vor den intergalaktischen oder gar vor den internebularen Räumen Halt machen müssen, so wird es nur deshalb geschehen, weil unsere Gastfreunde und die chronosophischen Oberen uns die Kraft nicht zutrauen, so tief in die Raumzeit und den Zeitraum vorzudringen, ohne das eigene Leben zu verlieren.
    Inzwischen fühlte ich wieder jene eisartige Spiegelfläche unter meinen unversehens schlittschuhbeflügelten Füßen. Im Tageslicht erglomm diese Fläche flaschengrün, und wenn man niedersah, bot sie dem Auge eine meeresartige Tiefe dar, obwohl sie keinesfalls aus gefrorenem Wasser bestand, sondern aus einem ähnlichen Material vermutlich wie der Djebel, für welches ich dem bloßen Augenschein nach das Wort Glasfluß verwendet habe. Wir hatten in wenigen Minuten und in nervenbelebendem Schwung die beträchtliche Entfernung zurückgelegt, die uns vom Fuße des Djebels trennte. Nun glitten wir in einen der hundertelf Riesenpylone ein, welche als Eingänge die Südwand durchbrachen (waren’s hundertelf? Woher weiß ich das so bestimmt? – Anmerkung des Autors). An uns sausten in beiden Richtungen junge Männer vorbei, die an Schnüren aufgefädelte Büchlein um den Hals trugen, ähnlich wie

Weitere Kostenlose Bücher