Stern der Ungeborenen
der Melangeloi bedeutet. Sie beantworteten meine Frage nach ihrem Wohin nurmehr mit zwei kurz angebundenen Worten: »Rosarium virginis.« Dann streckten sie sich waagrecht aus, wurden zu matten Strahlen, und schon fühlte ich ihre Wesenheiten nicht mehr neben mir. Was ich aber fühlte, war ein Klumpen weinender Erschütterung in meiner Kehle. Die Melangeloi hatten mir die Richtung ihres »Unterwegs« angegeben: »Rosarium virginis.« Ich übersetzte es als Rosengarten der Jungfrau. Es war wohl das Sternbild der Jungfrau im Zodiak, das zu demselben Weltsystem gehörte wie unsere Sonne. Oder war es mehr? War es die Jungfrau selbst, die Königin der Sterne und der Engel, die Hof hielt in ihrem Rosengarten? Von allen Seiten schossen sie heran, die Vorgänger und die Nachfolger, die Flammenhaarigen und die Weißglutlockigen, die Riesigen und die Winzigen, die geschaffen waren vor den Sternen, um zu huldigen und um anzubeten das Erdenweib, aus dem der Geist hervorgetreten war, der durch seine Passion befreit hatte den Gott im Menschen und den Menschen in Gott.
Ich aber befand mich im selben Augenblick wieder mitten unter den Kometenturnern. Die Melangeloi, diese guten Bernhardinerhunde des Kleinen Intermundiums hatten mich aufgelesen und zurückgebracht. Mein Schiffbruch auf dem Apostel Petrus und meine Abwesenheit dürfte so gut wie gar keine Zeit in Anspruch genommen haben, denn weder der Lehrer noch B. H. hatten mich vermißt, sondern beide schienen Glaubens zu sein, ich hätte mich keinen Augenblick von ihnen entfernt gehabt. Nun war ich wieder ein langer Staubstrich mit einem matt leuchtenden Stecknadelköpfchen gleich meinen Mitschülern aus der chronosophischen Klasse. Ich lag neben B. H. schwerlos auf dem Raum. Leider konnte ich mich, trotz meiner guten Absicht, nicht zurückhalten, sondern stammelte in sich überstürzenden Worten das große Erlebnis von meinem Herzen:
»Weißt du denn nicht, B. H., daß ich schon verloren war? Und daß mich wirkliche, materiell existierende Engel, sogenannte Melangeloi, gerettet und zu euch zurückgebracht haben?«
Ich spürte, wie B. H. seine Kopfkugel mir zuwandte und mich ansah, während wir uns des Weges streckten:
»Was redest du da, F. W.«, zischte er tonlos. »Welche Engel hätten dich gerettet? Was für einer Rettung hättest du bedurft? Ich habe weiß Gott keine Engel gesehen oder einen ähnlichen Wahnsinn. Du warst halt ein wenig knock-out geschlagen von dem kurzen Blick, den wir auf Petrus Apostel geworfen haben. Ich übrigens auch, ich auch, aber sag’s nicht weiter …«
»Nein, B. H.«, kämpfte ich, »es ist durchaus nicht selbstverständlich, daß ich wieder zu euch gestoßen bin. Es ist ein kleines Wunder, sagen wir ein Wunder zweiter oder dritter Klasse. Ich habe eine recht informative Unterhaltung mit zwei Dunkelengeln gehabt …«
»Was hast du nur mit deinen Engeln?« fragte B. H. bereits irritiert.
Der Lehrer, der diese Unterhaltung hörte, näherte sich mir schnell, als wolle er mich beruhigen und Ärgeres verhüten:
»Wir sind auf dem Heimweg, Seigneur«, zischte er wie Dampf in der Heizung. »Die erste chronosophische Übungsstunde ist immer eine gewisse Anstrengung, zumal für Erwachsene. Jene Engel aber, deren Sie Erwähnung tun, sie dürften das Spiel einer wunderlichen Imagination sein, die Sie aus Ihrer früheren Lebenszeit mittragen.«
»Kein Wort weiter«, mahnte eine innere Stimme in mir. Undiszipliniert wie ich bin, gehorchte ich ihr nicht, sondern begehrte folgendermaßen auf: »Wie? Warum keine Engel? Glauben Sie etwa nicht an Engel, Herr Lehrer? Sind vielleicht Engel nicht gut genug für den mentalen Geist?«
»Ich bin kein Gelehrter, sondern nur ein kleiner Schulmeister für die Anfangsgründe«, sagte der Lehrer in deutlich gekränkter Bescheidenheit. »Aber soviel weiß auch ich, daß seit Generationen der Bilderstoff der äußeren Welt und der Bilderstoff der inneren Welt des Menschen in den Lamaserien der Sternwanderer, der Verwunderer und der Fremdfühler inventarisiert worden ist. Wir besitzen ein lückenloses Verzeichnis alles dessen, was außerhalb und was innerhalb des Menschen existiert. Engel stehen nicht auf dem Verzeichnis des äußeren und inneren Bilderstoffs, Seigneur …«
»Sie können nicht auf diesem Verzeichnis stehen«, versetzte ich enerviert, »denn sie gehören weder dem äußeren Bilderstoff noch dem inneren Bilderstoff des Menschen an …«
»Verstehe ich recht«, zögerte nervös der
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