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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Beispiel, daß sie in vier Klassen oder Gruppen eingeteilt werden, in die Chöre, Herrschaften, Fürstentümer und Throne, mit welchen wunderschönen Worten ich jedoch durchaus keine festen Vorstellungen verband. Mit diesen wunderschönen Worten waren aber auch die Grenzen meines Wissens schon erreicht. Offengestanden, ich glaubte nicht sehr entschieden an die Existenz von Engeln. Darin unterschied ich mich recht wenig von meinen ehemaligen Zeitgenossen, die mit demselben Fanatismus bereit waren, an die unsichtbaren Engel nicht zu glauben wie an die ebensowenig sichtbaren Elektronen und Protonen zu glauben. (Nun, obwohl ich mich selbst nicht den Ungläubigsten aller Menschen nennen will, auch ich hätte es niemals für möglich gehalten, daß ich in Person, zuerst unsichtbar und dann sichtbar in der mentalen Zukunftswelt auftauchen könnte.) Diese Tatsache war gewiß nicht weniger wunderlich als die beiden bis nun ungenauen Wesenheiten, die ich hinter mir fühlte. Wo aber war die mentale Erde, und wo war ich? Ich war auf den Apostel Petrus verschlagen, den größten aller Planeten, der, ebenso alt wie unsere Erde, ein überraschend zurückgebliebenes Stadium durchlief, während wir schon beim Astro-Mentalismus hielten. Doch was verstand ich von spät und früh, von diesen menschlich-kindischen Einteilungen, die man allzu kühn auf Weltkörper ausdehnte? Was kümmerten sie mich auch in diesem Augenblick, wo ich gewärtig war, von der sich auftürmenden Bodenwelle abgeworfen zu werden und mit zerschmettertem Leibe in einer qualmenden Spalte zu verschwinden? Dies geschah aber nicht, sondern meine Bodenwelle schien sich nach einer deutlich fühlbaren Überlegung beruhigt zu haben, etwa in der Art eines nicht ganz unvernünftigen Sanguinikers. Sie ebbte zurück und erstarrte wieder, während um mich herum das Wogen, Rollen und Branden des ozeanischen Moorlandes nur noch wilder tobte. Der Dauerblitz und Donner knatterte endlos, die hochgewirbelten Brocken aus glühendem Eisen zischten durch die dichte Atmosphäre. Die drei zur Stunde sichtbaren Monde, einer davon ein tüchtiges Wagenrad, eilten dahin, immer wieder verdeckt, immer wieder entblößt, während die brandroten und schmutzig violetten Feuersäulen am Horizont als unerschütterliche Geraden emporwuchsen und hoch oben, wo sie den Himmel zu tragen schienen, korinthische Kapitäle aus verwischten Rauchvoluten und Qualm-Akanthussen bildeten.
    Da war es, daß ich neben mir die beiden Fürstentümer oder Herrschaften fühlte. Ich hatte keine Furcht, mich überlief kein Schauer wie sonst, wenn sich mir, wie schon einige wenige Male im Leben, die Gegenwart des Übernatürlichen entschleiert hatte. Ich lag wieder auf dem Rücken wie im zweiten Stadium meines Planetenbesuches. Nicht etwa aus Furcht, sondern aus einer ganz neuen Art freudigster Ehrfurcht vermied ich die kleine Anstrengung, meinen Kopf in der Kristallkugel zur Seite zu bewegen und die beiden schon etwas deutlicheren Wesenheiten anzuschauen. Mitten in den Explosionen des Weltuntergangs rundum fragte ich mit leiser Stimme, und wenn ich nicht sehr irre, in meiner deutschen Muttersprache:
    »Sind Sie zu mir gekommen, meine Herrschaften?«
    Sie beantworteten meine Frage in derselben Sprache und nicht etwa in der Protoglossa. Oft redeten sie unisono. Dann und wann nahm einer dem anderen das Wort ab:
    »Wir sind da«, sagte der eine.
    »Wir sind auf dem Weg«, sagte der andere.
    »Dann habe ich vielleicht das Glück«, flüsterte ich, »echten Engeln begegnet zu sein.«
    »Wir sind uns bekannt als Melangeloi und gehören hierher«, sagten sie unisono.
    »Melangeloi? Dunkelengel«, erschrak ich ein wenig, »soll das heißen böse Engel?«
    »Böse Engel sind uns unbekannt«, sagte der eine.
    »Unsere Helligkeit ist noch nicht ganz erhellt«, sagte der andere.
    »Sind Sie denn körperliche Wesen, meine Herrschaften?« fragte ich jetzt ziemlich kühn.
    »Nicht körperliche Wesen sind uns unbekannt«, erwiderten die Herrschaften oder Fürstentümer oder Throne.
    »Dann könnte sie vielleicht ein sehr lichtempfindlicher Film festhalten«, dachte ich laut.
    Die beiden Wesenheiten aber wiesen meine Meinung zurück:
    »Wir können nur festgehalten werden, wenn wir es wollen.«
    »Und Sie wollen es nicht«, versetzte ich, »was ich ausgezeichnet verstehe …«
    Erst bei diesen Worten bemerkte ich, daß ich mich nicht mehr auf dem rostroten Ödmoor befand, sondern zwischen den beiden Herrschaften, Fürstentümern oder

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