Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
Thronen frei in der Dämmerung bewegte. Ich beachtete es gar nicht sehr, undankbar wie die meisten Geretteten. Allzusehr beschäftigte mich die ungeklärte Frage der Körperlichkeit dieser Melangeloi und aller Engel. Sie beschäftigte mich so über die Maßen, daß ich dem Raum, den wir durcheilten, nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkte und daher auch nicht sagen kann, ob wir uns noch im Bannkreis des Apostel Petrus befanden oder diesen schon verlassen hatten. Ich bemerkte nicht einmal, auf welche Weise ich mich bewegte, ob meine beiden Begleiter mich trugen oder ob ich kometenturnte, was mir schon zur zweiten Natur geworden war. Jedenfalls hab ich’s vergessen. So sehr war ich mit meiner ganzen Seelenkraft dabei, die richtige Formulierung für meine Fragen auszudenken, denn ich spürte mit der ganzen nervösen Anpassungsfähigkeit meines Naturells die unaussprechlich adlige, doch ebenso empfindliche Wesensart der Engel. Ein falsches Adjektiv, und solch eine Herrschaft oder Fürstentum ist verschnupft für immer oder muß sich abwenden, ganz schwach vor Verstörung. Der ewige Umgang mit dem Logos selbst macht eben ungeduldig und schnell unpäßlich vor einer groben und unzureichenden Wortwahl.
    »Die dort unten auf der Erde«, begann ich mit großer Zaghaftigkeit, »haben schon vor undenklichen Jahrtausenden Spektrallinien unbekannter Elemente und den Elektronenhagel zersprengter Atome im Bilde festgehalten …«
    In ihrer Antwort auf diese herauslockend wissenschaftliche Bemerkung fühlte ich das erste Mal so etwas im Tonfall der Melangeloi wie eine gutmütige Amüsiertheit.
    »An uns gibt es keine Spektrallinien«, sagten sie unisono, »und keinen Elektronenhagel und sonstige Götzen des irdischen Kleinhirns … Das wär auch so was …«
    »Wie können Sie aber dann körperlich sein, meine Herrschaften«, schnappte ich ein, »wenn Sie nicht einmal aus Licht oder Radiowellen bestehen? Ist denn die Materie nicht eine Einheit, vom härtesten Diamanten bis zum Sonnenstrahl, der sich in ihm bricht?«
    »Sieh dir einmal den an«, sagte der eine Engel, »er weiß nichts von dem, was offenbart ist und geschrieben steht.«
    »Er weiß nicht«, sagte der andere Engel, »daß wir die Vorgänger und die Nachfolger sind.«
    »Es ist uns bekannt, daß wir aus demselben Stoff geschaffen sind wie diese Welt«, sagte der eine der beiden, »nur ein wenig weniger vergänglich.«
    »Es ist uns bekannt«, sagte der andere der beiden, »daß wir da waren in dieser Welt, ehe sie selbst da war.«
    »Es ist uns bekannt«, sagte wiederum der erste, »daß wir werden da sein in dieser Welt, wenn sie selbst nicht mehr sein wird.«
    »Doch nur in dieser Welt«, vereinigten sich beide zum Unisono, und es klang aus ihren Worten etwas wie die Melancholie der Endlichkeit.
    Ich hatte sie herausgelockt. Und es war nicht einmal schwer gewesen. Ich mußte mich bemühen, den Triumph, den ich über diesen Erfolg verspürte, in meiner Stimme zu verbergen:
    »Ich verstehe Sie, meine Herrschaften«, sagte ich daher mit gemessener Fröhlichkeit. »Sie sind aus der Materia prima et ultima geschaffen. Sie waren schon da, ehe das Wort fiel: ›Es werde Licht‹, und irgend etwas von unendlich kleiner Wellenlänge ins Graue Neutrum einströmte. Sie sind halt Ultras und Infras und hinterlassen auf dem besten Zelluloid kein Abbild. Ich weiß aber, daß es Ihnen gerade deshalb so leicht wird, allerlei Gestalten anzunehmen. Den Jünglingen im Feuerofen sind Sie im Flammenmantel erschienen und dem alten Abraham als hochgeschürzte Wandersmänner. Oh, wie liebe und verehre ich Sie, Herrschaften, wenn Sie als gewöhnliche hochgeschürzte Wandersmänner erscheinen oder als Briefträger, Polizisten, Ambulanzfahrer …«
    Bei diesen Worten wagte ich zum erstenmal meinen Kopf zu wenden und die beiden Wesenheiten, die mich hartnäckig begleiteten, neugierig aus dem Augeneck anzublinzeln. Völlig überzeugt davon, meine Netzhaut werde nichts von der Materia prima et ultima erblicken, aus der die Melangeloi bestanden, war ich auf das Wundersamste überrascht, als ich doch etwas zu sehen bekam. Freilich, hochgeschürzte Wandersleute wie Vater Abraham einst sah ich hier nicht. Und doch, die zwei Fürstentümer, Herrschaften oder Throne – ich vergaß festzustellen, zu welcher dieser Klassen die Melangeloi gehörten – waren irgend etwas wie ein Mittelding zwischen der unauffälligen Erscheinung, die Abraham besuchte, und der auffälligen Erscheinung, welche die

Weitere Kostenlose Bücher