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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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drei Jünglinge im Feuerofen hatten. Vor allem, ich sah keine Flügel an diesen Engeln, was mich mit tiefster Befriedigung erfüllte. Ich habe Engelsflügel immer für eine menschliche Erfindung gehalten, und zwar für eine schlechte und verlogene. Entweder Arme oder Flügel. Jenes unverwendbare Schwanengefieder, das an menschenartigen Schultern festgewachsen ist und keine vernünftigen und zulänglichen Muskeln zur Verfügung hat, um in Schwung versetzt zu werden, ist nichts als eine anatomische Absurdität. Nichts greulicher, weil unmöglicher, als diese süßliche Verkitschung des babylonischen Flügelstiers. Um an Engel zu glauben – und ich möchte, dankbar für mein Erlebnis, zu diesem Glauben beitragen –, müssen wir uns
mögliche
Engel vorstellen, das heißt protomaterielle, ultrakörperliche Wesenheiten, die ihre Substanz beliebig verwenden, das heißt verkleiden können, was sie auch aus einer tiefen Neigung für ihre gesunkenen Halbbrüder, die Menschen, dann und wann tun. Wenn ich die Herrschaften, meine beiden Begleiter, richtig beschreiben soll, und das ist nicht ganz leicht, so sehe ich in der völligen Unerhelltheit des Grauen Neutrums, die wir schon so gut kennen, zwei eigenartige, doch sehr gedämpfte Erhelltheiten, die zwischen einem zarten Lila und blassen Rötlich schwankten. Das Wesentliche aber ist die Gestalt dieser Erhelltheiten. Am besten beschreibe ich sie als zwei bewegte Mantelformen oder Faltenwürfe, die mir zur Seiten in deutlichster Lautlosigkeit einherrauschten. Wie schön, wie herzerquickend, wie zufriedenstellend aber war’s, daß diese blaßleuchtenden Faltenwürfe oder Mantelformen menschliche Gestalten einzuhüllen schienen, und zwar ganz und gar herrliche Gestalten. Plötzlich zeichnete sich im Faltenwurf ein spitzes Knie ab, ein mächtiger Schenkel, ein zarter Fuß, ein melodischer Ellenbogen, eine michelangelesk männliche Brust, und verschwand wiederum, als sei die brüderliche Annäherung des Menschlich-Ebenbildlichen schon mehr als genug.
    Tintoretto und besonders der toledanische El Greco hatte etwas davon heraus. Gesichter konnte ich nicht unterscheiden, besser gesagt, die beiden Wesenheiten drückten sich nicht so weit aus. Manchmal aber hatte ich den Eindruck von starken Köpfen hinter Schleiern, von Köpfen mit purpurn im Flug nachflatterndem Flammenhaar. Die Herrschaften hatten soeben vernommen, daß ich der hochgeschürzten Wandersmänner Erwähnung tat, die Abraham erschienen waren. Das mochte ihnen gefallen und prächtige Erinnerungen erwecken.
    »Es ist uns bekannt, daß wir hochgeschürzte Wandersmänner sind«, sagte der eine.
    »Und immer unterwegs«, fügte der andere hinzu.
    Unterwegs, dachte ich, natürlich seid ihr immer unterwegs. Da unterscheidet ihr euch nicht von Sonnenstrahlen, Planeten und Atomen. Zu diesem Zwecke könntet ihr ruhig Materia media sein und keine Ultras und Infras. Wer weiß, vielleicht ist sogar der tote Raum unterwegs, das Graue Neutrum, das Nichts, die gähnende Leere zwischen den lodernden Lebenstätigkeiten. Eigentlich unterscheiden nur wir Menschen uns von diesem beständigen »Unterwegs«, da Gott allein uns die erquickende Illusion der Ruhe geschenkt hat. Im Tode weicht diese Illusion, und darin liegt das Geheimnis des »Gefahrenwerdens«. Aber ein freundliches Nachmittagsschläfchen auf dem Sofa, wenn der Roman aus der erschlaffenden Hand auf den Boden fällt und Körper und Geist sich im Gleichgewicht wiegen, während doch in Wirklichkeit jede einzelne Leibeszelle auf rasender Wanderschaft befindlich ist, diese Illusion ist einzig uns vergönnt. Und noch eins: Wenn wir Menschen unterwegs sind, so haben wir ein Ziel, ein limitiertes, aber ausgesprochenes Wohin. Die Planeten in ihren monotonen Bahnen haben kaum ein Ziel, der Sonnenstern und die anderen Lichtgestirne vermutlich ebensowenig. Die Engel aber, diese Menschen der Intermundien, müssen ein Ziel haben …
    »Meine Herrschaften«, sagte ich jetzt laut und zweifellos sehr geschraubt, »ich weiß, daß selbst unter Menschen nur die Schlechterzogenen ihre Bekannten auf den Boulevards fragen: Wohin gehn Sie da?«
    Die Erhellten neben mir, diese beiden Mantelformen oder Faltenwürfe, blaßlila und zartrötlich, begannen zu wallen und sich zu blähen, wodurch die Ahnung menschlicher Glieder stärker hervortrat, ja sogar die angedeutete Prägung kräftiger Männergesichter mit nachflatterndem Rothaar. Ich hatte den Eindruck, daß dieses Phänomen ein herzhaftes Lachen

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