Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
die auch »Eingang des Comptoirs« genannt wurde, stolzlächelnd mit, daß ein Gerichtsbeschluß auch mir dasselbe Recht zu jenen drei Fragen zugestehe, obwohl ich doch von ziemlich dubioser Existenz sei. Ich möge sie mir wohl überlegen, die drei Fragen, mahnte er. Es war genau umgekehrt wie in der Sage von Ödipus und der Sphinx und allen Märchen ähnlicher Art. Nicht das wissende Ungeheuer fragte den unwissenden Wanderer, sondern der unwissende Wanderer fragte das wissende Ungeheuer. Freilich, die ganze Fragerei hatte gottlob keine tragischen Mißlichkeiten zur Folge wie im antiken Märchen. Der Hochschwebende mußte sich nicht töten wie die Sphinx, schon deshalb nicht, weil es überhaupt keine menschlich erdenkliche Frage gab, die dieser »Ungeheuer Wissende« nicht hätte beantworten können. Obwohl ich, wie schon öfters betont, meiner Forscherpflicht fast gar nicht bewußt war und die Möglichkeit einer Heimkehr aus dieser unglaublichsten Zukunft in eine ebenso unglaubliche Vergangenheit zur Stunde nicht im mindesten bedachte, entschloß ich mich sofort, drei Fragen von entscheidender Bedeutung vorzubereiten. Zu meiner größten Befriedigung ließ mir der Fremdenführer eine Art Rechtsbelehrung darüber zuteil werden, daß es sich nicht nur um drei knappe formale Fragen handle, sondern daß jedermann den Anspruch auf Klärung der drei Themen besitze, die ihm am Herzen liegen. Zu diesem Zwecke dürfe man auch, in den Grenzen der Bescheidenheit freilich, einige wichtige Neben- und Unterfragen vorbringen.
    Allein gelassen, fand ich mich schließlich in jener Räumlichkeit, die den Titel »Kanzlei« oder »Comptoir« trug. Ich hatte, auf diesen mir von altersher so wohlbekannten Wortklang vertrauend, etwas völlig anderes erwartet: ein nüchternes, mäßig helles Lokal nämlich (Regenlicht) mit einigen Schreibpulten und einem katafalkartigen Ruhelager für den Hochschwebenden, kurz etwas, was dem Schilderhaus des Geoarchonten und Seleniazusen ungfähr entsprach. Diese meine Erwartung war nicht ganz ungerechtfertigt, denn soviel verstand ich schon vom Aufbau der astromentalen Gesellschaft, um zu wissen, daß es vier Hierarchien gab, die nebeneinander wirkten: die kirchliche, die der Großbischof repräsentierte, die staatlich-politische des Geoarchonten, die ökonomisch-produktive des Arbeiters und die kosmologische des Djebels, der Chronosophen, deren Oberhaupt der Hochschwebende war. Kein Zweifel, letztere bedeutete für den Forschungsreisenden die originellste von allen vier Hierarchien, obwohl ich damit die Ungewöhnlichkeit des Arbeiters und seiner malachitenen Mulden der Quellen und Kräfte nicht verkleinern will. Der Raum jedoch, den man Kanzlei oder Comptoir nannte, widersprach aufs lebhafteste meinen Erwartungen; sogar das Licht war kein Regenlicht, sondern eine schattenhafte Dämmerung. Der Raum war durchaus kein nüchterner Kubus, sondern, soweit ich es beurteilen kann, eine Art Grotte im Innern eines blaßschimmernden Felsens. Ich hatte ähnliche Gemächer, die wie Höhlen wirkten, in den mittelalterlichen Bürgerhäusern oder Burgen meiner Heimatwelt gesehn. Von allem Menschenwerk, das mir auf der mentalen Erde bisher begegnet war, schien dieses »Comptoir« das älteste und naturhafteste zu sein. Vermutlich, so überlegte ich, befanden wir uns tiefer als die tiefsten Bergwerke meiner Zeit unter der Oberfläche der Erde, und zwar in den gewaltigen Fundamenten des Djebels, und man hatte den gewachsenen Felsen gelassen wie er war, ohne ihn durch gebaute Wände zu ersetzen und zu entweihen. Der Raum war in der Tat viel größer als das weitläufigste Bureau, und vor allem viel höher, so hoch beinahe wie ein altes Kirchenschiff. Ich spürte sofort, daß die regulierbare Gravitation hier ziemlich hoch geschraubt sein mußte, denn ich konnte mich kaum mit gebogenen Knien und tief gebeugtem Rücken bis zu der mächtigen Holzpritsche schleppen, die in der Mitte der Kanzlei des Gastes bereits zu harren schien, und auf der einige Flecken rötlichen Lichtes lagen und viele huschende Schatten tanzten. Ich sank sofort auf das Lager und streckte mich auf dem Rücken aus, die einzige Art, wie ich mein Übergewicht neutralisieren konnte. Meine Augen schweiften die Felswände entlang, um die Tür zu suchen, durch welche der Hochschwebende eintreten mußte. Sie fanden aber nicht einmal die schmale »Pforte des Comptoirs«, durch die ich selbst vorhin eingetreten war.
    Erst allmählich gewahrte ich, daß ich mich

Weitere Kostenlose Bücher