Stern der Ungeborenen
wilde, das heißt nicht domestizierte Tiere sollten da oder dort noch anzutreffen sein. Da aber die ganze bewohnte Erde zur Stadt, zur unterirdischen Panopolis geworden war, so hatte es auch das arme Füchslein in seiner abgelegenen Höhle zum Städter gebracht. Und gab es irgendwo noch ein Wäldchen und in diesem Wäldchen ein Reh, so war’s gewiß wie der Arbeiter, der Einfältige oder der Jude ein umgekehrtes Pluraletantum, nämlich das »Reh dieses Zeitalters«. Viele Erscheinungen wiesen deutlich auf einen Triumph des Insektengeschlechtes hin. Insekten konnten wundervoll vom eisengrauen Rasen leben. Sie hatten aber auch die Hausgärten zur Verfügung mit dem dunklen Lederlaub und den dicken Wachsblüten und die Häuser selbst mit Hunderten von Schleiergewändern und andern nahrhaften Textilien. Es konnte angesichts solcher Schlemmerkonditionen keinen Zoologen Wunder nehmen, daß sich gewisse Arten der Insekten besonders vergrößert und verschönt hatten. Warum zu diesen hochausgebildeten Arten vorzüglich das Geschlecht der Spinnen gehörte, weiß ich nicht.
Gar mancher wird jetzt zurückzucken und ein angeekeltes Gesicht machen. Das kommt daher, weil er die Spinne nicht recht versteht, nicht so versteht wie der astromentale Mensch, sondern sie mit allen möglichen alten Schauergeschichten, Kinderschreck und abgestandenem Aberglauben in Zusammenhang bringt. Für den kosmisch hocherfahrenen Geist der Weisen im Djebel war die Spinne beinahe ein Hierozoon, ein heiliges Tier. Warum? Zum ersten: Die Spinne ist das körperliche Abbild des Sterns im Tierreich. Ihr Leib besteht aus einem rundlichen Zentrum, von dem die langen Glieder sich strahlenförmig nach allen Richtungen strecken. Dieses Ausstrahlen von einem Zentrum ist unter allen Tieren einzig und allein den Spinnen eigentümlich. Zum zweiten: Die Spinne entwickelt aus ihrem Innern den weißen Faden, mittels dessen sie ihr Netz verfertigt, in dem sie hängt wie ein Lichtgestirn in seinem Strahlennetz. Damit versinnbildlicht die Spinne den schöpferischen Vorgang der Aussendung von »strahlender Energie«, wie die Wissenschaft das süße Licht nennt. Zum dritten: In der Mitte ihres ausstrahlenden Netzes hangend, wartet die Spinne ruhig auf ihre Opfer, Fliegen, Mücken und Motten. Sie rührt sich nicht, denn die Beute fällt ihr sicher zu. Damit aber versinnbildlicht sie die Schwerkraft des Sterns, jene furchtbare Grundmacht im Universum, welche »Anziehung« heißt und den urersten schöpferischen Anstoß in ungeschwächter Bewegung und Verteilung hält. Das sind die Gründe, warum die Chronosophen die Spinnen als Astrosymbole verehrten, und warum sie einige besonders prächtige Arten in den schweigsamen Gängen und Gemächern des untern Djebels fütterten und züchteten wie etwa die Brahmanen ihre heiligen Kühe. Der noch immer angeekelte Leser, den obige Gründe nicht überzeugen sollten, möge bedenken, daß die Spinnen, von denen ich hier erzähle, ganz anders aussehen als diejenigen, welche er kennt und verjagt. Die größten waren ungefähr so groß wie ein menschlicher Handteller. Ihr kreisrunder Körper leuchtete wie Silber, wie Mondstein oder wie Opal. Sie wirkten wie lichte Intarsien auf den dunklen Wänden. Da die Gemächer sehr hoch waren und ziemlich düster, so sah man die großen, schneeweißen Spinnweben an den Deckengewölben langsam und gebieterisch schaukeln. Jede der Riesenspinnen trug einen Namen, den Namen eines Gestirns zweifellos, den uns auch die ältesten Xenospasten, denen wir hier begegneten, mit leuchtendem Eifer nannten.
Während ich meinen Kopf zur Decke gedreht hielt, stieß mich B. H. plötzlich leicht an. Ich bemerkte eine Gruppe von Männern, die schnell und schwerelos an uns vorüberglitt. An der Spitze bewegte sich ein kleiner Zierlich-Korpulenter, der sein Gesicht mit dem violetten Gewandschleier verhüllte. Der Fremdenführer stand starr mit gesenktem Haupt. Auch die andern hatten den Geoarchonten erkannt. Es mußte eine schwere Sorge sein, die ihn von seinem Lager im Schilderhaus aufgescheucht und in den Djebel getrieben hatte, von wo er soeben von einer Beratung mit dem Hochschwebenden zurückkehrte. Der Nächste, der empfangen werden sollte, so hieß es, war ich selbst …
Jeder Sterbliche besaß das gesetzlich verbriefte Recht, ein einziges Mal im Leben an den Hochschwebenden seines Zeitalters drei wohlerwogene und scharfdurchdachte Fragen zu richten. Der Fremdenführer teilte mir an der »Pforte der Kanzlei«,
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