Stern der Ungeborenen
diese Grenzen mehr als die Schöpfung. Als wir tief unter der Erdoberfläche in den untersten Stockwerken der Lamaserie vor einer der kleinen Denkzellen standen, sahen wir einen der älteren Fremdfühler mit gebeugtem Haupt und überaus angespannten Zügen regungslos verharren, ohne uns oder etwas anderes zu bemerken. Unser Führer gab eine laute Erklärung – er wußte, daß der Xenospast nichts hören werde –, die mich tief erschauern ließ und zugleich meine Lachmuskeln reizte: Dieser Mann, vernahm ich, hat siebenundneunzig Schöpfungen erdacht und bis ins Itüpfelchen ausgearbeitet, die besser seien als die vorhandene. Er präge die Deduktionen und Begründungen unausgesetzt seinem Geiste ein, damit er einst, sollte er die Gelegenheit haben, sie jenseits des Lebens vor dem Welt-Schöpfer fehlerlos vertreten und verteidigen könne.
»Ich fürchte«, sagte ich leise zu B. H. neben mir, »daß schon weit geringere Schöpfer als der Weltschöpfer weder Kritik vertragen noch produktive Anregungen entgegennehmen …«
Dies aber war der einzige Fall innerhalb des ganzen Djebels, wo der Verdacht einer irreverenten Haltung nicht ganz abgewiesen werden konnte. Die meisten der Weisen jedoch, die ich beobachten durfte, trugen ein unaussprechlich sanftes, ergriffenes, hingegebenes und frommes Lächeln auf ihren Zügen. Auch unter den Fremdfühlern gab es solche, die ihre Hüften gürteten, den Djebel verließen und in die Häuser der Menschen hinabstiegen. Sie brachten nicht den vitalen Rat der kraftüberströmenden Verwunderer mit, sie brachten den mildernden Rat derer, welche die Grenzen kannten.
An einer bestimmten Stelle der unteren Ränge, die wir mit Hilfe der modifizierten Schwerkraft durchsausten, sagte der Fremdenführer: »So, und nun sind wir bereits in das Reich des Arachnodroms eingedrungen«.
Es fiel mir auf, daß wir bei der Besichtigung des Djebels von oben nach unten immer weniger zu besichtigen hatten. In den oberen Rängen, die der Jugend gehörten, waren es die verschiedenartigen astrogymnastischen Übungen, Pantomimen und Ballette im Sternlicht, die das Auge bannten. In den mittleren Rängen hatten wir noch die ewig strahlende Hymnenhalle mit ihren unablässigen Festzügen betreten dürfen. Hier unten bei den Fremdfühlern gab es so gut wie gar nichts mehr zu sehen, außer den Gesichtern von schweigenden Männern, glatt und alterslos, wie überall in dieser Welt, und doch verbraucht von Erschütterungen ohnegleichen.
Bei dem Wort Arachnodrom horchte ich neugierig auf. Die Monolingua ging mit der griechischen Endung »drom«, die laufende Bewegung ausdrückte, ziemlich frei um, indem sie diese auch dort verwendete, wo sie nicht ganz hingehörte. »Sephirodrom« zum Beispiel hieß Bibliothek, obgleich die Bücher (Sepher heißt hebräisch Buch) in den Bibliotheken meistens nicht herumzutraben pflegen wie die Pferdchen im Hippodrom. Arachnodrom mochte daher nach Analogieschluß so etwas wie ein Spinnenheim bedeuten. Und das war es auch hier unten in den Tiefen des Djebels, in den letzten Korridoren der xenospastischen Lamaserie.
Wir wissen schon von der Welt draußen und droben, daß in der letzten Erdepoche keine Tierart sich so hoch entwickelt hatte wie die Insekten. Den biologischen Grund dafür zu finden, kann nicht meine Sache sein, der ich der bloßen Aufzählung und dem nackten Bericht kaum gewachsen bin, mittels dessen ich eine gänzlich fremde Welt aufzubauen habe, die ich nur auf einer verdammt kurzen Reise kennenlernte. Eines ist sicher, die Nahrungsbedingungen der Erde im Hinblick auf die Tierwelt mußten sich stark vermindert haben. Ich weiß nicht, welche und wie viele Arten von Säugetieren es gab, die sich mit dem eisengrauen Rasen als Weidegrund zufrieden geben konnten. Die Capricornetten, Ovetten und was sonst noch für diminutives Vieh in den Parkanlagen des Arbeiters und seines Clans sich umtummeln mochte, spielten meines Erachtens, obwohl sie süße, treffliche Milch lieferten, eher die Rolle von aggressiveren Gold- und Zierfischen als die von Nutzherden im Sinne des Altertums, aus dem ich kam. Daß die Vögel in der Luft ausgestorben waren, wissen wir längst. Diese Luft war selbst in ihren untern Schichten zu rein und klar, um so gastlich zu sein wie in früherer Zeit. Die Hunde, einer einzigen Mischrasse angehörend, plapperten mit angemenschter Geläufigkeit die Monolingua. Von den Katzen werden wir einige Seiten weiter ein unglaubliches Stück zu hören bekommen. Sogar
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