Stern der Ungeborenen
schien auch ihre verdammten Nachteile zu haben, denn folgender Argwohn ließ sich nicht abweisen: Wenn’s an einem Orte losging, mußte notwendig jeder andere Ort mitgerissen werden, von Pol zu Pol. Ich war über mich selbst recht sehr verwundert, weil ich Erleichterung fühlte, daß »zu Hause« nichts passiert war. Man staune doch mit mir über die Feilheit meines oder sogar des menschlichen Charakters im allgemeinen: Schon fühlte ich mich zu Hause, hunderttausend Jahre von mir selbst entfernt. Schon war ich attachiert an irgendwelche wildfremde, unbegreifliche Kreaturen, die sich teils in verwischte Nacktheit, teils in changierende Schleiergewänder hüllten, die an farbigen Säftchen und Süppchen nippten, wie sie der Arbeiter im Tal der Quellen und Kräfte mittels sideraler Einwirkung für alle Welt braute. An all das hatte ich mich schon voll gewöhnt, und es war mir selbstverständlich geworden, nicht anders als in meinem Vorleben der Wechsel der Kost auf einer Reise. Unheimlich schnell war sie erfolgt, selbst für meine impressionable Person, diese Assimilierung, zumal wenn man berechnet, daß ich erst gestern genau um diese Zeit zum erstenmal auf dem kurzen eisengrauen Rasen der mentalen Kultur stand und inzwischen auch noch das elastische Mare Plumbinum Merkurs unter den Füßen gehabt und auf dem roten wogenden Ödmoor Apostel Peters einen veritablen Schiffbruch erlitten hatte. Mein Besuch des Niederen Intermundiums hatte mir übrigens die alte Erde, das heißt die neue, mentale Erde, nur trauter und heimatlicher gemacht. Ich freute mich wirklich drauf, ins Haus der Hochzeiter zurückzukehren. An Morgen und an eine Zukunft dachte ich nicht. Sorgloser bin ich nie gewesen. Mein Zeitsinn war völlig anästhesiert, was kein Wunder ist. Das einzige, was mir eine gewisse Bedenklichkeit einflößte, war eben diese überraschende Bindung an meine hiesigen Freunde, die ich in mir wachsen fühlte. In den letzten Jahren meines Vorlebens hatte ich mich in einer schlimmen Abart von schutzsuchendem Egoismus dagegen gewehrt, neue Menschen kennenzulernen und neue Beziehungen anzuknüpfen. Diese Abwehr erstreckte sich sogar auf Tiere. Einen prächtigen Hund verschenkte ich, ehe ich mich noch an ihn gewöhnt hatte. Hat man einmal das fünfzigste Jahr überschritten, sehnt man sich nach nichts mehr und fürchtet man nichts mehr als neue Liebe.
Hinter der Pforte der Kanzlei wartete B. H. nervös. Der Fremdenführer dieses Zeitalters war plötzlich von Amts wegen abberufen worden. Wir irrten führerlos durch das Labyrinth des Djebels, über schiefe Ebenen, durch Schächte, Laufgänge und Korridore, mit regulierter Gravitation dahinfliegend. Hätte uns Io-Fagòr nicht persönlich herausgepeilt, Gott weiß wann wir den Ausgang gefunden hätten.
Unser Gastfreund hatte ein charmantes Lächeln vor die bedenklich ernste Grundierung seines Gesichtes getan. Verfeinerte Menschen, in fernster Zukunft wie in fernster Vergangenheit, entblößen ihre Sorge nicht gern.
»Ich hoffe, Seigneur«, sagte Io-Fagòr, »Sie nehmen drei treffende Antworten aus dem Djebel mit …«
Ehe ich aber noch etwas erwidern konnte, fragte B. H., der den Brautvater ziemlich erstaunt betrachtete:
»Hat sich etwas Böses begeben?«
»Sie sollten eher fragen«, versetzte Io-Fagòr,
»wird
sich etwas Böses begeben? Um darüber einen Wink zu empfangen, haben sich Berufene an jene Instanz gewandt, welche unser Freund hier soeben verlassen hat …«
»Nach meiner Erfahrung im ›Comptoir‹«, sagte ich, »kann ich mir denken, daß es nichts gibt vom ersten bis zum jüngsten Tage, das Seine Hochgnaden nicht weissagen könnte.«
Io-Fagòr lehnte meine Meinung mit einiger Strenge ab.
»Der Hochschwebende ist kein Wahrsager, sondern ein Wissender«, erklärte er. »Er kann nur Winke geben, was die Zukunft betrifft, denn die Zukunft der Menschen bleibt ihm selbst verborgen, weil, wie ein altes Wort überliefert, jeder Augenblick ein Knotenpunkt vieler Straßen ist, welche der Mensch nach Willkür wählt.«
B. H. fixierte noch immer unsern Gastfreund:
»Irgendwas hat sich doch begeben«, sagte er.
»Und etwas nicht ganz Uninteressantes begibt sich noch immer«, lächelte Io-Fagòr. »Erwarteten Sie aber nicht zuviel, Seigneur …«
Dann wandte er den schönen, goldgekrönten Kopf leicht hin zu B. H..:
»Ist Ihr Freund schon aufgeklärt?«
»Wenn es sich um den Dschungel handelt«, fiel ich ein, »so habe ich bereits einige Informationen erhalten.«
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