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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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andere. Kein Zweifel, er hatte recht. Das änderte aber nichts an meinem Unbehagen, welches in mir durch die Tatsache erweckt wurde, daß die Natur keine rechte Natur mehr war, selbst im Park des Arbeiters nicht. Jetzt aber sah ich wieder Berge, Berge …
    »Mach doch deinen Mund zu«, mahnte B. H. lächelnd. Er hatte wahrscheinlich wieder einmal Grund, sich meiner zu schämen. Man wird mir entgegenhalten, daß in der Tat keine Ursache vorlag, über den Anblick von Bergen in allzugroßes Staunen zu geraten, denn erst vor wenigen Minuten hatte ich mich ein letztes Mal umgedreht, um vom herrlichen Bilde des Djebels mit seinen regenbogenartigen Farbenbrechungen Abschied zu nehmen, und zweieinhalb Stunden vordem hatte ich mit eigenen Augen die anthrazitschwarzen und blutroten Küstengebirge des Johannes Evangelist sehen dürfen. Welch ein falscher Einwand! Der Djebel war Menschenwerk, das staunenswerteste der zukünftigen Geschichte, aber immerhin nur Menschenwerk, bedeutsamer, größer, aber nicht wesensverschieden vom Tempel von Karnak und vom Eiffelturm. Die rotschwarzen Küstengebirge Merkurs jedoch gehörten mir nicht an. Ich hatte Mühe, sie mir wieder vors innere Auge zu rufen. Dort aber die Berge waren mein, waren die Berge meiner Erde, und der leichte, kühle, holzrauchgeschwängerte Wind, den sie verströmten, trieb mir fast die Tränen in die Augen.
    Die Berge stiegen gegen Westen an. Die Sonne (kein goldenes Vlies und keine Fahrradlampe, sondern die gute Erdensonne) stand schon ziemlich tief und überschüttete die Hänge mit vollem Nachmittagsgold. Die Höhen selbst wuchsen in mehreren Schichten, Tinten und Verfernungen hintereinander empor. Die letzte Schicht war schneebedeckt, wie sich’s gehörte, obwohl sich meinem Gefühle nach die Schneegrenze im Laufe der Jahrtausende nach unten mußte verschoben haben. Das mochte eine Folge der wachsenden Abkühlung unserer Erdkruste sein, oder die Sonne hatte seit ihrer Katastrophe an jenem dreizehnten November doch fühlbar an Wärmekraft eingebüßt, oder der verminderte Wasserdampf in der reinen astromentalen Atmosphäre verhinderte die wohltätige Ansammlung von Wärme, wie wir sie gewöhnt sind. Höhere Reinheit scheint stets mit minderer Wärme im Bunde zu sein. All diese Erscheinungen habe ich schon bei meinem ersten Eintritt in die neue Welt kurz erwähnt. Ich wiederhole sie an dieser Stelle, weil ich nach meinen chronosophischen Erfahrungen alles klarer, ich möchte sagen, alles planetarer empfand und verstand.
    So vertraut mir die Linien der Berge waren, ich fühlte sie zur selben Zeit wie von einem Punkte des Grauen Neutrums herab. Im übrigen erinnerten sie mich weniger an die Waldgebirge meiner engeren Heimat als an die Apenninen oder an andere Bergzüge am Mittelmeer und am Pacifischen Ozean, in dessen nächster Nähe wir uns schließlich hier aufhielten. Was mich am meisten erstaunte, war die enorme Ausdehnung dieser Vegetationsinsel, die von den mentalen Erdbürgern völlig unzutreffend Dschungel genannt wurde. Wenn es freilich, wie man mir eingestand, mehr als hundert solcher Dschungelländer auf dem eingeebneten Globus gab, so bestand zweifellos die Gefahr, daß er über kurz und lang seine eisengraue Langweiligkeit einbüßen werde. Die niedrige Brustwehr hier konnte die Vegetation gewiß nicht daran hindern, fortzuschreiten und immer mehr Raum der Panopolis abzutrotzen. Wenn man es mit dem Worte Dschungel auch falsch bezeichnete, das Phänomen selbst mußte für mentale Augen von beklemmender Wucht und Fremdartigkeit sein. Ich verstand Io-Fagòrs Depression besser als gestern. Plötzlich unterschied ich auf den nahen Vorhügeln mir gegenüber Pinien und Oliven und Palmengruppen und dazwischen schöne weiße Kuben:
    »Da sind ja Häuschen, das sind ja Villen«, entfuhr es mir.
    »Schauderhaft«, erklang eine Stimme aus der Gruppe, die mich umgab. Es war die Stimme des Wortführers. »Schauderhaft zu denken, daß Menschen in solchen Würfeln leben, und zwar oberhalb der Erde.«
    »Kann man das Menschen nennen«, empörte sich Io-Do, der Bräutigam, der mit seinem Goldhelm und im schwarzen Festgewand heute schön und ernst aussah.
    »Es
sind
Menschen«, sagte Io-Fagòr, »leider. Ich würde ruhiger sein, wenn es keine Menschen wären. Sie unterscheiden sich aber von uns nur dadurch, daß sie sonnverbrannter sind, barbarische Gewänder tragen und selbst mit den Händen arbeiten. Das ist ein geringer Unterschied.«
    Hier mischte sich die holde

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